Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
Vom Netzwerk:
tatsächlich immer ein und dasselbe Drehbuch ist, dem wir folgen. Liegt die Auswahl des Drehbuchs nicht auch an der ganz besonderen Konstellation mit dem Partner, der bestimmte Verhaltensweisen in uns wachruft oder eben auch nicht? Nicht nur unser Selbstbild, auch unsere Eigenheiten werden in hohem Maße durch die Partnerschaft beeinflusst. Wer sich liebt und dazu möglicherweise noch eng zusammenlebt, übernimmt unmerklich Gesten, Redewendungen und Ausdrucksformen des Partners. Der Rahmen dieses so genannten »Chamäleon-Effekts« ist in der Psychologie nicht fest umrissen. Doch nicht selten dürfte es vorkommen, dass Partner nicht nur einander imitieren. Häufig schlüpfen wir sogar in das Bild oder in die Rolle, die der andere von uns hat, im guten wie im schlechten Sinne. Fremdbild und Selbstbild werden auf diese Weise oft schwer unterscheidbar.
    Das Entweder-Oder an Sternbergs sechsundzwanzig Liebesfilmen erscheint damit etwas zu schematisch. Ist es nicht möglich, dass ich verschiedene Drehbücher im Kopf habe, Geschichten, die vielleicht gar nicht gut zueinander passen: eine Familiengeschichte zum Beispiel und einen Abenteuerfilm? Eine Komödie und ein Melodram? Dass ich den einen Film, der mich glücklich machen könnte, also gar nicht finden kann?
    Die wichtigste Aussage in Sternbergs Untersuchung allerdings erscheint gleichwohl plausibel: dass unsere Liebesvorstellungen und unsere Erwartungen episch, dramatisch oder in heutiger Zeit eben oft filmisch sind. Und dass unser Bild von uns selbst und von dem anderen zumindest Elemente von Genres haben. Diese Genres wiederum sind Erfindungen unserer Umwelt, mithin des Kinos und des Fernsehens. Was auch immer wir uns unter unserem eigenen Genre vorstellen – das Drehbuch dazu stammt weitgehend auch von anderen. Kaum ein Mensch erfindet von sich aus die Zutaten der Romantik. Wer rote Rosen
verschenkt, beim Heiratsantrag einen Kniefall macht oder ein Candle-Light-Dinner inszeniert, kopiert Muster, die er hundert- bis tausendfach gesehen hat. Würde er aber stattdessen einen Philodendron verschenken oder beim Hochzeitsantrag Kniebeugen machen, würde er nicht als originell empfunden werden, sondern als seltsam.
    Ob Kultserien wie Ally McBeal und Sex and the City tatsächlich Trends aufgreifen oder Trends erst erzeugen, sei einmal dahingestellt; mindestens werden die Trends verstärkt und zu Vorlagen für Millionen verarbeitet. Denn was wir für unsere persönliche Romantik halten, haben wir so oder sehr ähnlich gesehen: bei unseren Eltern und Freunden oder eben in Fernsehen und Kino. Was wir beim Sex für normal halten, gehorcht nicht unbedingt einer inneren Stimme, sondern dem Vergleich mit anderen. Dabei folgt die Erotik von Filmen nicht unbedingt der Realität, sondern den optimalen Kameraeinstellungen. Seit in den 1980er Jahren Sexszenen ins Hollywood-Kino wanderten, gibt es im US-amerikanischen Spielfilm den nahezu unvermeidbaren Klassiker der nackt aufsitzenden Frau, die ihre wilde Mähne in ebenso wilder Verzückung in den Nacken wirft und lustvoll die Zimmerdecke anstöhnt. Arttypisches Sexualverhalten von real existenten Frauen ist dieses Gen-Himmel-Stöhnen eher nicht. Für Hollywood aber ist diese Inszenierung die am wenigsten anstößige Möglichkeit für eine Sexszene. Während der Mann fast unsichtbar bleibt, rückt die Frau so fotogen ins Bild wie bei einem Reitausflug. Der Einfluss solcher tausendfach kopierter Muster ist nicht zu unterschätzen.
    Die Kenntnis von Liebesfilmen und Genreszenen machen Sex und Romantik berechenbar. Sie ermöglichen Standards, die von den meisten verstanden und mehr oder weniger genau nachgespielt werden. Wenn wir Gefühle haben, belegen wir unsere diffusen Emotionen mit Namen. Wenn wir sozial handeln, zivilisieren wir unsere Vorstellungen durch Muster. La Rochefoucaulds Satz, dass wir uns nicht verlieben würden, wenn wir nicht davon
gehört hätten, lässt sich also erweitern: dass wir uns nie romantisch verhalten würden, wenn wir nicht durch die Massenmedien wüssten, was das sein soll.
    Das Phänomen unserer Zeit ist ein Paradox: die öffentliche Intimität. Was wir für unsere privatesten Vorstellungen halten, ist eine öffentliche Romantik im Zeitalter massenmedialer Reproduzierbarkeit. Ihre offensichtlichste Perversion scheint erreicht, wenn Sängerinnen wie Sarah Connor und Ansagerinnen wie Gülcan Karahanci ihre Liebesintimität zum Gegenstand einer Romantikserie machen: Sarah & Marc in Love und Gülcans

Weitere Kostenlose Bücher