Liebe
real difference between man and woman (»Brain Sex. Der wahre Unterschied zwischen Mann und Frau«). Ich hatte gerade angefangen, mich für Hirnforschung zu interessieren, und ich staunte nicht schlecht über den Titel: Wussten die Hirnforscher tatsächlich schon so viel über die unterschiedlichen Gehirne von Mann und Frau, dass man darüber Bücher schreiben konnte? Meine Verwunderung wurde umso größer, als ich sah, dass es sich um eine Neuauflage handelte. Das englische Original war bereits 1989 erschienen. Aus heutiger Sicht also in den Kindertagen der modernen Hirnforschung.
Das Zauberwort der Hirnforscher in der Mitte der 1990er
Jahre hatte einen schwer auszusprechenden Namen. Es hieß: funktionale Magnetresonanztomografie. Erst kurz zuvor hatte der Japaner Seiji Ogawa in den Bell Laboratories der Telefongesellschaft AT & T in Murray Hill, New Jersey, eine Sensationsmaschine vorgestellt: den Kernspintomografen. Mit seiner Hilfe ließ sich die elektromagnetische Qualität des Blutes im Gehirn messen und auf einem Computerbildschirm sichtbar machen. Wo vorher Röntgenstrahlen, Ultraschall und EEGs an ihre Grenzen stießen, brach jetzt die Barriere: Die Forscher konnten ihren Patienten auf märchenhafte Weise ins Gehirn schauen. Konnte man da nun auch endlich sehen, auf welche Weise Männer und Frauen unterschiedlich fühlten und dachten?
Das Buch, das ich in New York in der Hand hielt, war nun allerdings bereits vor dem Siegeszug des Kernspintomografen geschrieben worden. Die Genetikerin Anne Moir und der Journalist David Jessel behaupteten darin noch vor Gray und den Peases: »Frauen und Männer sind nicht nur verschieden, sie sind völlig verschieden!« In der Sprache des Buches heißt das: »Zu behaupten, dass Mann und Frau in ihren Fähigkeiten und in ihrem Verhalten gleich sind, hieße, eine Gesellschaft errichten, die auf einer biologischen und wissenschaftlichen Lüge basiert.« 38 Das Literaturverzeichnis umfasste gerade einmal zweieinhalb Seiten. Gleichwohl verstand sich das Buch als der alles entscheidende Beweis mit den Mitteln der Hirnforschung.
Doch wie konnte man bereits 1989 wissen, wie das weibliche im Vergleich zum männlichen Gehirn fühlte und dachte? Wie groß und – vor allem – wie sichtbar war und ist dieser Unterschied?
Der Erste, der sich der Sache als Hirnforscher annahm, war der bedeutende französische Neuro-Anatom Paul Broca im Paris des späten 19. Jahrhunderts. Broca untersuchte und wog die Gehirne von Menschen verschiedenster Nationalitäten. Und er verglich auch die Gehirne von Männern und Frauen. Zu seiner Freude fand er einen klaren Unterschied. Männliche Gehirne
sind durchschnittlich um 10 bis 15 Prozent größer und schwerer als weibliche Gehirne. Das Durchschnittsgewicht des Gehirns einer erwachsenen Frau liegt bei 1245 Gramm, das eines Mannes bei 1375 Gramm. Selbst eingedenk unterschiedlicher Körpergrößen schnitt das Gehirn des Mannes noch immer besser ab als das der Frau. Broca triumphierte und schrieb beglückt, dass der Mann allem Anschein nach intelligenter sei als die Frau. Denn es gäbe zweifellos »eine bemerkenswerte Verbindung zwischen der Entwicklung der Intelligenz und dem Volumen des Gehirns.« Bald darauf allerdings verlor er die Lust am Vermessen von Gehirnen. Einer seiner französischen Kollegen hatte festgestellt, was der überzeugte Patriot Broca gewiss nicht hatte beweisen wollen: dass die Deutschen durchschnittlich ein größeres Gehirn hatten als die Franzosen.
Dass in größeren Gehirnen mehr Intelligenz steckt als in kleinen, ist eine haltlose Spekulation. In unseren Gehirnen befinden sich mehr als 100 000 Milliarden Nervenzellen, von denen wir ohnehin nur einen Bruchteil nutzen. Entscheidender als die Größe sind unsere sehr komplexen Aktivitätsmuster und Verschaltungen. Deshalb erscheint es durchaus ein wenig sonderbar, wenn neuere Forschungen nahelegen wollen, dass das von vielen vermutete bessere Sprachvermögen von Frauen auf eine höhere Anzahl an grauen Zellen in den entsprechenden Gehirnregionen zurückzuführen sei.
Wenn schon die Größe nichts besagt, gibt es dann zwischen Mann und Frau nicht einen Unterschied in den Verschaltungen? »Frauen denken mit der rechten Gehirnhälfte, Männer mit der linken«, lautet eine bekannte Weisheit. Ist dies richtig?
Das menschliche Gehirn sieht aus wie eine aufgeblasene Walnuss und hat die Konsistenz eines weichen Eies. Oberflächlich betrachtet sehen sich die beiden Hälften der Walnuss
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