Liebe
schwindelnde Höhen aufgestiegen. Wer Gene manipulieren kann, Embryonen klont und Hirnschrittmacher entwickelt, der kann uns auch sagen, wer wir wirklich sind.
Was als Zweites gefällt, ist die Bestätigung von Klischees. Die gesellschaftlichen Umbrüche der späten 1960er und der 1970er Jahre haben zwar die alten Deutungsmuster des 19. Jahrhunderts, der Kirche und des Patriarchats erschüttert, aber sie haben nichts wirklich Überzeugendes dagegengesetzt. Übertreibungen wie »Alles ist angeboren! wurden durch Übertreibungen wie »Alles ist Erziehung!« gekontert. Seitdem ist eigentlich alles unklar.
Die Bücher von Gray und den Peases finden hier eine clevere Lösung für unsere heutige Zeit. Auf der einen Seite bestätigen sie die alten Rollenklischees aus der Zeit vor der Emanzipation: Männer sind geil, aggressiv, machtbewusst und denken eindimensional. Auf der anderen Seite aber kehren die neuen Ratgeber die Machtverteilung von anno dunnemals um. Die Männer mögen noch so unmöglich sein: Wir müssen sie gar nicht fürchten, wir können doch so schön über sie schmunzeln! Frauen sind geschwätzig, unkonzentriert und verirren sich in Gedanken und fremden Städten. Aber auch darüber können wir lächeln. Denn wir wissen ja, dass sie den Männern dafür im Sozialen turmhoch überlegen sind.
Mit der Aufwertung des Begriffs »soziale Intelligenz« wurden die Frauen in den letzten 20 Jahren das eigentlich überlegene
Geschlecht. Der Mann mag noch immer der bessere Kfz-Mechaniker sein, aber in den Ratgebern ist er nicht mehr der Herrscher. Stattdessen wird er entschuldigt für seine steinzeitlichen Macken. Denn fast alles, was Männer besser können sollen, ist heute weitgehend funktionslos. Und der geübte Jägerblick schweift immer zielloser ins Leere.
Der einzige Punkt, in dem Frauen noch genauso primitiv sein sollen wie vor 100 000 Jahren, ist ihre Sucht nach guten Genen für ihre Kinder. Denn die Hormone der Frau sind mutmaßlich noch die gleichen wie ehedem, weshalb Frauen eben manches nicht und anderes besser können.
Steinzeitdesign, Hormonspiegel und ein entsprechend unterschiedliches Gehirn bestimmen demnach Mann und Frau, und zwar immer und überall. Und deshalb müssen nach den Peases »Frauen über jeden nackten Mann lachen und Männer jede nackte Frau anziehend« finden, und Männer wippen wahrscheinlich nicht nur in Australien, Europa und den USA beim Zähneputzen mit den Füßen, sondern auch am Amazonas, am Pol und in Kasachstan. Den schnellen Bogen von der Einzelbeobachtung zum Rest der Welt hatten den Peases schon evolutionäre Psychologen wie David Buss vorgemacht. Danach spielt bei der Untreue der Frau das Materielle (neben den ultimativen Genen) eine Hauptrolle, »darunter teure Designerkleidung, Karriereförderung, Schmuck und die Benutzung des Autos des Partners«. 37 Alles Gemeinsamkeiten der Menschheit mit biogenetischem Ursprung? Beobachtungen bei den Mbuti im Ituri-Urwald und den Buschleuten in Namibia lassen da Zweifel aufkommen.
Nicht alles, was manche Männer von manchen Frauen in Australien, Europa und den USA trennt, muss auf ein geschlechtsspezifisches »Modul« im Gehirn zurückzuführen sein. Gleichwohl setzen die evolutionären Psychologen ebenso wie ihre populärwissenschaftlichen Satelliten auf die Hirnforschung. Der unterschiedliche Zuschnitt der Gehirne von Mann und Frau soll beweisen, wie dramatisch verschieden die Geschlechter denken
und fühlen, so dass ihre sozialen Interessen logischerweise ganz unterschiedlich sein müssen. Nach John Gray liegt es an unseren Gehirnen, dass Männer in der Liebe wie »Gummibänder« hin- und herschnellen. Und liebende Frauen bauen sich wie »Wellen« auf und stürzen wieder zusammen. Aber gibt es diese Verhaltensweisen nicht auch umgekehrt? Lieben Frauen und Männer tatsächlich völlig anders? Wie groß ist der biologische Unterschied zwischen dem Gehirn von Frauen und Männern tatsächlich?
Geschlecht und Gehirn
Im Sommer 1995, bei meinem ersten Besuch in New York, staunte ich über die großen und gleichwohl oft urgemütlichen Buchhandlungen von Borders, Barnes & Nobles und natürlich dem Strand in der 12th Street, Ecke Broadway. Ganze Tage tauchte ich ab in den Science- Abteilungen bei Coffee und Brownies und trat erst am frühen Abend wieder hinaus in die helle, laute und chaotische Stadt. Ein wissenschaftliches Buch fand sich in allen Geschäften besonders prominent platziert: Anne Moir und David Jessel: Brain Sex: The
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