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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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ziemlich ähnlich. Aber bei genauerem Hinsehen zeigen sich viele Unterschiede. Wichtige Zentren des Gehirns liegen entweder auf der rechten oder auf der linken Seite. Würde eines der beiden Geschlechter
nur mit der einen oder mit der anderen Gehirnhälfte denken, wären sie schwerstbehindert und wahrscheinlich nicht normal lebensfähig. Gleichwohl gibt es in der Tat einen anatomischen Unterschied zwischen Frauen- und Männergehirn. Genau gesagt handelt es sich um zwei Hirnfurchen. Die eine liegt zwischen dem Stirn- und dem Scheitellappen: der zentrale Sulcus. Die andere Furche verläuft zwischen Schläfen- und Scheitellappen: die Sylvische Fissur. Beide Furchen sind bei Männern in der linken Hirnhälfte etwas länger als bei Frauen, und zwar bei allen Männern.
    Dankbar, überhaupt einen Unterschied gefunden zu haben, spekulieren Forscher seit drei Jahrzehnten nun munter drauflos. Vor allem die Sylvische Fissur hat es den Wissenschaftlern angetan. Sie endet in der Nähe des Wernicke-Areals für das Sprachverstehen. Für die US-amerikanische Neuropsychiaterin Louann Brizendine steht damit fest, dass Frauen ein größeres Kommunikationszentrum im Gehirn besitzen. In ihrem schon dem Titel nach verdächtigen Bestseller Das weibliche Gehirn schreibt sie, dass ein »Mädchen wegen des größeren Kommunikationszentrums redseliger« ist »als sein Bruder«. 39
    Nicht nur mich, den redseligen Bruder zweier weniger redseliger Schwestern, dürfen dabei Zweifel beschleichen. Denn erstens ist das Wernicke-Areal nicht das einzige Kommunikationszentrum im Gehirn, sondern es ist nur ein Teil eines komplizierten Netzwerkes. Zweitens muss die Länge der Furche nicht unbedingt eine Behinderung sein. Ohne Zweifel gibt es männliche Kommunikationsgenies und begnadete Simultandolmetscher sowie Frauen ohne größere Sprachbegabung – wie sind sie möglich?
    Dass man die kleinen anatomischen Unterschiede nutzen will, um zu zeigen, dass Mann und Frau möglicherweise über verschiedene Begabungen verfügen, ist einleuchtend. Dass Frauen ein allgemein größeres Sprachtalent haben als Männer ist eine ebenso häufige Vermutung wie die, dass Männer besser abstrakt
denken können. Wenn das so sein sollte, so müssen sich dafür Gründe in unserem Fühlen und Denken finden. Die schlichte Wahrheit allerdings ist, dass sich weder das eine noch das andere anhand von Gehirnfurchen belegen lässt.
    Auch Tests über das räumliche Vorstellungsvermögen von Männern und Frauen weisen dieses Problem auf. Zwar lässt sich mithilfe des Kernspintomografen zeigen, dass manche Frauen bei einigen Tests einen »längeren Weg« nehmen, das heißt eine zusätzliche Gehirnregion benutzen, die bei Männern gemeinhin nicht aktiviert wird. Aber eine pauschale Aussage, dass Männer grundsätzlich besser räumlich denken können, lässt sich nicht machen. Im Schnitt waren sie bei den vielen Tests wohl ein wenig besser. Aber auch manche Männer erweisen sich als Nieten, wenn sie sich dreidimensionale Objekte räumlich verdreht vorstellen sollen.
    Umso glücklicher waren manche Hirnforscher und mit ihnen viele evolutionäre Psychologen, als vor etwa 25 Jahren ein weiterer Unterschied zwischen Mann und Frau (wieder)entdeckt wurde: Das Corpus Callosum, eine kleine, aber sehr wichtige Brücke zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte, besser bekannt als der »Balken«. Berühmt wurde der Balken durch eine Veröffentlichung der Hirnforscher Christine De-Lacoste-Utamsing und Ralph L. Holloway im Fachmagazin Science im Jahr 1982. Tatsächlich hatte allerdings bereits Robert Bennett Bean, ein Neuroanatom an der Johns Hopkins University in Baltimore, das Corpus Callosum zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal zwischen Frau und Mann erklärt. Bean wollte eigentlich beweisen, dass Afroamerikaner eine schlechtere Verbindung zwischen den Gehirnhälften haben als Weiße. Während eines Gastaufenthaltes an der University of Michigan in den Jahren 1905-1907 stellte er allerdings zugleich fest, dass der Balken auch bei Mann und Frau nicht ganz gleich war.
    De-Lacoste Utamsing und Holloway erklärten, dass die 200 Millionen Fasern des Balkens bei Frauen im hinteren Teil dicker
seien als bei Männern. Das Corpus Callosum gleicht damit nicht nur in der Form einem alten Telefonhörer, es hat auch eine solche Funktion. Mithilfe des Balkens verständigen sich die beiden Gehirnhälften. Und haben die beiden Forscher recht, so tun sie es bei Frauen mit mehr und mit besseren Leitungen

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