Liebe
kann: Liebe! Liegt hier der Ursprung dieses großen Gefühls? Und wenn das so sein sollte, bedeutet das nicht zugleich, dass die Liebe ursprünglich gar nicht für das Zusammenleben der Geschlechter »gedacht« war, sondern für etwas ganz anderes?
Die Geburt der Liebe
Es gibt eine unter Biologen sehr populäre Schöpfungsgeschichte der menschlichen Liebe. Etwa in der Version der US-amerikanischen Anthropologin Helen Fisher in ihrem 1992 erschienenen Buch The Anatomy of Love (»Anatomie der Liebe«).
Diese Geschichte geht so: Vor etwa vier Millionen Jahren verließen die Affen den Wald, jedenfalls einige von ihnen. Gewaltige geologische Kräfte hatten die Ostafrikanische Platte aufgerissen und eine riesige Schlucht, das Rift Valley, erzeugt. Während die Vorfahren unserer heutigen Schimpansen, Bonobos und Gorillas sich mit immer kleiner werdenden Wäldern begnügten, strebten die Vorfahren des Menschen hinaus in die Savanne. Hier im offenen Grasland war alles anders. Unsere Ahnen ließen das Krabbeln und Klettern sein und verließen sich nun mehr auf ihre Hinterläufe. Das brachte Vorteile, wenn man über das Gras spähen wollte. Für die Weibchen allerdings war es zugleich ein Nachteil. Im Wald transportierten sie ihre Kinder bequem auf dem Rücken. Doch wie sollte man nun auf zwei Beinen Stöcke, Steine und gleichzeitig noch ein Kind schleppen? Kurz gesagt: In der Savanne war die Frau überfordert. Und deshalb änderte sie ihre
Partnerwahl. Mochten die Weibchen unserer Ahnen auch eine leidenschaftliche Schwäche für Testosteron-Bomber haben, die weniger männlichen, dafür umso sanfteren und sozialen Männchen nutzten ihnen nun mehr. Die Frau wurde monogam. Es entstand das vielleicht merkwürdigste Phänomen des Universums: der Schaltkreis der Liebe im menschlichen Gehirn. Aus dem weiblichen Geist ging er auf dunkle Weise in den männlichen über. Mit Helen Fisher gesagt: »Als die Paarbindung für die Frauen eine entscheidende Bedeutung erhielt, wurde sie auch für die Männer nützlich. Ein Mann hätte beträchtliche Schwierigkeiten gehabt, einen Harem von Frauen zu beschützen und zu versorgen. So begünstigte die natürliche Selektion mit der Zeit diejenigen, die eine genetische Neigung zur Ausbildung einer Paarbildung hatten – und die menschliche Gehirnchemie für Verbundenheit entwickelte sich.« 58
Diese hübsche Geschichte – man kann sie den biologischen Schöpfungsmythos der Liebe nennen – darf man, wenn man möchte, glauben. Eine Glaubensfrage ist sie schon deshalb, weil keine Zeitzeugen uns die Wahrheit darüber verraten können. Aus gleichem Grund darf man diese Erzählung von der schwer schleppenden Eva und dem hilfsbereiten Adam allerdings auch bezweifeln.
Was schwer zu begreifen ist an dieser so zielsicher formulierten romantischen Evolution ist der Vorteil Adams. Die Paarbindung, schreibt Helen Fisher, wurde den Männern nützlich. Statt eines Harems hatten sie nur noch eine Frau zu verteidigen. Wer aber sagt in Darwins Namen, dass unsere Ahnen vor vier Millionen Jahren einen Harem hatten wie die Gorillas und nicht vielmehr in offenen Gemeinschaften lebten wie die näher verwandten Bonobos? Und hätten sich die Männer nicht zusammentun können, um ihre Weibchen gemeinsam zu verteidigen, wie es fast alle Affen tun? Der Mann als »Beschützer« und »Ernährer« eines einzigen Weibchens erscheint als eine reichlich christliche Idee, aber nicht als eine biologische.
Noch dunkler bei diesem Mythos ist die Veränderung im Gehirn. Nach Helen Fisher begünstigte die Evolution »diejenigen, die eine genetische Neigung zur Ausbildung einer Paarbildung« hatten – und die menschliche Gehirnchemie für Verbundenheit entwickelte sich. Spätestens hier bewegen wir uns im Dunstkreis der Alchemie. Dass eine so fragile Psychologie und ein so komplexes Sozialverhalten wie die Liebe als genetische Neigung in unserem Erbgut vorkommen soll, darf man getrost verwerfen. Das Einzige, was tatsächlich vorhanden gewesen sein dürfte, waren Bindungshormone aus der Mutter- bzw. Eltern-Kind-Beziehung. Diese Gehirnchemie entwickelte sich allerdings nicht erst vor vier Millionen Jahren, sondern allem Anschein nach viel früher; es gibt sie bei allen Affen. Bindungshormone dürften wesentlich älter sein als die Geschlechterliebe.
Genau diese Überlegung brachte den österreichischen Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt schon in den 1970er Jahren auf eine Idee. Könnte es nicht sein, dass die Liebe
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