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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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ursprünglich gar nicht für Frau und Mann gedacht war? Für Eibl-Eibesfeldt entspringt die Liebe aus der Bindung zwischen Müttern und Kindern. Sie ist eine Folge der Brutpflege, nicht der Sexualität: »Der Sexualtrieb ist nur ein recht selten benütztes Mittel der Bindung, spielt aber bei uns Menschen in dieser Hinsicht eine große Rolle. Obgleich er einer der ältesten Antriebe ist, hat er interessanterweise nicht zur Entwicklung dauerhafter individualisierter Bindungen Anstoß gegeben, von einigen seltenen Ausnahmen abgesehen. Die Liebe wurzelt nicht in der Sexualität, bedient sich ihrer jedoch zur sekundären Stärkung des Bandes.« 59
    Als Eibl-Eibesfeldt dies schrieb, hatte er seinen Mentor Konrad Lorenz vor Augen, der die Liebe ausgerechnet als eine Nebenfolge des gemeinschaftlichen Aggressionsverhaltens deutete. Eibl-Eibesfeldt dagegen hat ein weniger zoologisches Menschenbild. Er ist ein einfühlsamer Humanist, was man Lorenz nicht nachsagen konnte. Gleichwohl setzte das Eibl-Eibesfeldt-Modell sich nicht durch. Das Fisher-Modell dagegen trat seinen
Siegeszug an. Beim ersten Hören klingt es so plausibel wie logisch. Allerdings nur beim ersten Hören. Denn die Natur folgt nicht den Gesetzen der menschlichen Logik, bei der alles Schritt für Schritt auseinander hervorgehen soll: Sexualität, Verliebtheit und Liebe. Eine Geschichte, die für uns stimmig alles mit allem sinnvoll verbindet, muss deshalb nicht wahr sein. Denn die Natur kennt wohl keinen raffinierten Masterplan von der Lust zur Liebe. Eher ist dieses eine raffinierte menschliche Konstruktion im Nachhinein, entsprungen aus dem Bedürfnis, unordentliche Dinge in der Natur und Kultur ordentlich zu machen.
    Für Eibl-Eibesfeldts Annahme dagegen spricht, dass die Beziehung zwischen Müttern und Kindern die wohl stärkste Bindung im Tierreich ist, zumindest bei brutpflegenden Tieren. Der aufopferungsvolle Kampf der Löwenmütter für ihre Jungen ist sprichwörtlich, und Löwinnen bilden keine Ausnahme. Verortet man die Geburt der Liebe im Nest statt in den Wochen davor, so lässt sich gut erklären, warum die Bindungen zwischen Müttern und Kindern auch beim Menschen im Regelfall so viel verlässlicher und stabiler sind als die zwischen Mann und Frau.
    Auf vergleichbare Weise beschreibt auch der Hamburger Psychotherapeut Michael Mary die Liebe zwischen Mutter und Kind als den Ursprungsort der Liebe: »Die Mutter (oder die am nächsten stehende Person) stellt für das Kind den Urgrund dar, in dem es sich aufgehoben und geborgen fühlt. Mit der Mutter entsteht sogar die umfassendste Erfahrung menschlicher Verbundenheit, die vorstellbar ist. Die Erfahrung intimer Verbundenheit durch gleichzeitige körperliche, emotionale und psychische Nähe. Durch diese frühe und prägende Erfahrung wird die intime Beziehung zu der Beziehungsform, in der ein größtmögliches Ausmaß an Verbundenheit erlebt wird. Es wundert daher nicht, dass Menschen im späteren Leben Verbundenheit in einer vergleichbar intimen Beziehung suchen, in einer Beziehung, die neben psychischen auch emotionale und körperliche Aspekte umfasst: in der intimen Beziehung zum Liebespartner.« 60

    Allem Anschein nach ist die mütterliche – bei manchen Tieren: elterliche – Fürsorge der Quell der Liebe. Wer eine intensive Brutpflege betreibt, muss die Bedürfnisse seiner Schützlinge ahnen und ihre Gefühle nachvollziehen können. Diese Fähigkeit wurde bei zahlreichen Tieren beobachtet. Und von der Sorge um die Brut zum Schützen verwundbarer oder verwundeter Artgenossen könnte es möglicherweise in einen gleitenden Übergang gekommen sein bis hinein zu den Beziehungen zwischen nicht miteinander verwandten Erwachsenen. Für den Kinderpsychologen Stanley Greenspan von der George Washington University und seinen Mitautor, den Philosophen Stuart Shanker von der York University, liegt in der Mutter-Kind-Beziehung sogar die Wiege für die Entwicklung von Sprache und Kultur. In ihrem faszinierenden Buch The first Idea (»Der erste Gedanke«) beschreiben sie den Ursprung der menschlichen Kultur aus der unmittelbaren Körper- und Zeichensprache zwischen Mutter und Kind.
    Wie auch immer dieser Prozess vonstattenging: Einmal in der Welt, ließ sich die Sensibilität und emotionale Feinfühligkeit der Mutter-Kind-Beziehung offensichtlich auf andere Horden-Mitglieder ausweiten. Ob die Vergrößerung des Liebesradius von der Mutter-Kind-Beziehung hin zur geschlechtlichen Liebe allerdings notwendig war,

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