Liebe
selber sagen würde, ein Substantiv, das, wie viele andere, auf umgangssprachlich eingespielte Art und Weise die Wirklichkeit sortiert und etwas schwer Fassbares auf einen Begriff bringt. Dass die »Liebe« keinem empirisch nachweisbaren Gegenstand und keinem Gehirnzustand entspricht, ist noch lange kein Grund, nicht über sie zu reden. Im Gegenteil: Gerade das macht sie erklärungsbedürftig, wenn auch nicht gerade im Dienst einer naturwissenschaftlich überprüfbaren Wahrheit.
Über die Liebe zu reden, schafft – bestenfalls – psychologische Plausibilität: Man fühlt, dass man das Gleiche meint und sich versteht. Das ist nicht wenig. Die umgekehrte Position dagegen, die den Gebrauch des Wortes am liebsten unter Strafe stellt, wiederholt nur Wittgensteins Irrtum, als er glaubte, die Sprache sei ein Instrument der Wahrheit und nicht der sozialen Kommunikation. Der Anteil der psychischen Schwingungen, Befindlichkeiten und Absichten in unserer Wortwahl ist viel wichtiger, als Ryles betont antipsychologische Sicht wahrhaben will. Mag die Liebe auch kein Gegenstand der realen Welt sein: Liebende sehen in ihrer »Liebe« einen Film, den sie gemeinsam schaffen. Und wenn wir lieben, läuft eben immer eine Mannschaft aufs Feld und nicht einzelne Spieler.
Um die Liebe zu verstehen, muss man also nicht nur eine Emotion
verstehen, sondern eine Welt von Vorstellungen mit ganz bestimmten, aber auch unbestimmten Gesetzen. Emotionen, wie zum Beispiel Hunger, hat man »an sich«. Wir sind uns unmittelbar sicher, was wir spüren. Wenn uns kalt ist, haben wir keinen Zweifel, wenn wir müde sind, merken wir das ebenso. Gefühle dagegen hat man nicht »an sich« – man muss sie interpretieren. Auch die »Liebe« ist ein solches gedeutetes Gefühl, eine Interpretation namens »Liebe«. Nicht immer fällt es uns dabei leicht zu sagen, was gerade mit uns geschieht, wenn wir fühlen. Viele Gefühle werden von so diffusen Vorstellungen begleitet, dass wir gar nicht recht wissen, wie wir sie deuten sollen. So kann es durchaus passieren, dass wir eine Zeitlang nicht ganz sicher sind, ob wir jemanden lieben. Wir horchen in uns hinein und fragen uns selbst, ob unser Gefühl wohl völlig dem entspricht, was wir uns unter Liebe vorstellen.
Gefühle wie die Liebe verleihen unserem Leben Farbe, aber welche Farbe, das bestimmen wir durchaus mit, wir suchen sie – wenn auch nicht immer ganz frei und ungezwungen – mit aus. Von William James haben wir dabei gelernt, dass wir unsere Gefühle nicht haben, sondern dass wir sie deuten. Und von Gilbert Ryle wissen wir, dass hinter den Substantiven, die wir dafür verwenden, keine Tatsachen stehen, sondern Vorstellungen. Wir sehen daraus, dass der emotionale Anteil an der Liebe gemeinhin stark überschätzt wird. Und ganz offensichtlich gehört es zur Liebe dazu, ihn überzubewerten. Die Illusion, einer Emotion ausgeliefert zu sein, ist ein Teil unseres Liebens. Doch in Wahrheit sind wir unserem Lieben bei weitem nicht so ausgeliefert, wie wir es uns gerne einreden.
Wenn es allerdings richtig ist, dass Liebe nicht einfach eine Emotion ist, sondern etwas, das wir selber schaffen, wie sieht dann die Bauanleitung dafür aus? Nach welchen Spielregeln funktioniert sie, die Liebe, in unseren Köpfen? Was löst sie bei uns aus und warum? Und was machen wir mit uns, wenn wir lieben?
Man kann diese Frage aus zwei verschiedenen Blickwinkeln beantworten, nämlich einmal aus einem psychologischen und zum anderen aus einem soziologischen. Denn da Liebe sich in der Regel nicht auf einer einsamen Insel abspielt, ist sie sowohl ein persönliches wie ein gesellschaftliches Konzept.
Beginnen wir zunächst mit dem persönlichen.
8. KAPITEL
Mein Zwischenhirn & Ich
Kann ich lieben, wen ich will?
Liebe unter Kulturwesen
Kultur ist die Fortsetzung der Biologie mit so anderen Mitteln, dass man sie nicht mehr auf biologische »Strategien« reduzieren kann, ohne die Menschheit als »degeneriert« empfinden zu müssen. Der Rückblick auf eine Vergangenheit, die vier Millionen Jahre entfernt ist, erklärt nicht den heutigen Menschen und sein Verhalten. Er ist Kurzsichtigkeit in der Maske der Weitsicht.
Eine Abkürzung zur »wahren Natur« des Menschen gibt es nicht. Was als Erklärung daherkommt, schafft nicht neue Fakten, sondern vor allem neue Spekulationen. Die »Männer« und »Frauen« der evolutionären Psychologen sind in Reinform kaum oder nur sehr selten irgendwo anzutreffen. Die meisten Menschen hingegen
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