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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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dafür ist leicht benannt: Ihrem Ursprung nach ist die Sprache weniger ein Mittel der Erkenntnis als eines der Verständigung.
    Denken wir uns nur einen Satz wie: »Sie kam aus Liebe und aus Luxemburg.« Grammatikalisch ist das völlig in Ordnung, auf der Ebene der Bedeutung allerdings eher kurios. Der Mann, der seine Lebensaufgabe darin sah, diese Kuriosität zu verstehen, war der Engländer Gilbert Ryle (1900-1976). Am Beispiel seines Idols Ludwig Wittgenstein hatte der Student in Oxford gelernt, dass eine »Idealsprache« ohne Doppeldeutigkeiten und Missverständnisse nicht möglich ist. Statt eine utopische fehlerfreie Sprache zu entwickeln, versuchte Ryle deshalb, kluge Regeln zu finden für den Umgang mit der Sprache, wie sie nun einmal ist.
    Ryle schrieb nur ein einziges wirklich bedeutsames Buch: The Concept of Mind (»Der Begriff des Geistes«). 1949, als das Werk erschien, sorgte es für Aufsehen. Mit Schwung und zahlreichen Beispielen erklärte Ryle, dass der menschliche Geist keine eigenständige Existenz habe, sondern durch und durch abhängig sei von den biologischen Vorgaben des Körpers und des Gehirns. Diese Erkenntnis war natürlich nicht neu. Schon Aristoteles, die Materialisten der Aufklärungszeit, viele Philosophen des 19. Jahrhunderts und nicht zuletzt William James hatten das so gesehen. Revolutionär daran aber war, dass diese Position von einem Sprachphilosophen vertreten wurde, der aus der völlig entgegengesetzten Tradition kam – aus einer Tradition nämlich, die die Welt logisch, aber nicht biologisch zu begreifen sucht.
    Da die Hirnforschung in den 1940er und 1950er Jahren gerade erst dabei war, einfachste elektrische Vorgänge im Gehirn
zu messen, setzte Ryle seine Hoffnung auf die Erforschung des Verhaltens. Dabei wurde ihm allerdings schnell klar, dass Vorgänge im Gehirn etwas ganz anderes sind als die Begriffe, mit denen Menschen ihre Geisteszustände beschreiben. Das Wort »Geist« etwa existierte seit mehr als zweitausend Jahren. Es war ganz offensichtlich nicht dafür gemacht, eins zu eins auf einen Gehirnzustand angewendet zu werden. Das gleiche Dilemma gab es bei Seele, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Aufmerksamkeit und so weiter. Alle diese Wörter passten nicht zu den elektrophysiologischen Vorgängen im Gehirn wie ein Schlüssel zum Schloss. Sie waren Postkutschen auf einem Flughafen.
    Ryle wurde nicht müde, aus der Sprache das herauszudestillieren, was nicht passte und was er »Kategorienfehler« nannte. Überall in der Sprache lauerte Unsinn bei der Zuordnung. So etwa sagen wir, dass eine Mannschaft in ein Stadion einläuft, aber in Wirklichkeit läuft nicht die Mannschaft ein, sondern einzelne Spieler. Für Ryle ein klassischer Kategorienfehler, denn Mannschaften können nicht laufen; sie sind eine ganz andere Kategorie als Spieler. Und ebenso verhält es sich nach Ryle beim Missverhältnis von Gehirnzuständen und Geistesbegriffen. Das eine sind die Spieler, und das andere ist die Mannschaft. Nach einem »Geist« im Gehirn zu suchen, sei demnach so unsinnig, als ob wir neben den Spielern auch noch nach einer Mannschaft auf dem Spielfeld suchten.
    Auf die Liebe bezogen folgen daraus zwei Konsequenzen. Erstens: Es gibt keine »Liebe« im Gehirn, sondern nur Biochemie. Und zweitens sollten wir uns davor hüten, unsere emotionalen und geistigen Vorgänge mithilfe eines Substantivs wie »Liebe« zu kategorisieren. Eine solche Verwendung, so Ryle, sei völlig unbedacht. Denn sie verführt zu der seltsamen Annahme, dass es »die Liebe« gäbe, ebenso, wie es zum Beispiel Tische gibt.
    Was ist von diesen beiden Schlussfolgerungen zu halten? Zunächst einmal hat Ryle ohne Zweifel recht. Von den Schwierigkeiten, aus der Biochemie des mesolimbischen Systems im Zwischenhirn
auf »romantische Liebe« zu schließen, war bereits ausführlich die Rede. Und Oxytocin ist kein »Liebeshormon«. Wer dies annimmt, verballhornt unbestritten die Komplexität der in vielen Farben schillernden Liebe. Was wir unter »Liebe« verstehen, ist immer größer als jede biochemische Erklärung.
    Doch was ist mit der zweiten Konsequenz? Ist es falsch von der »Liebe« zu reden oder gar ein Buch darüber zu schreiben (was Ryle sicher nie getan hätte)? Mein Einwand dagegen wäre, dass es in Wirklichkeit umgekehrt ist. Wäre die Liebe eine klare, eindeutige, evidente Sache, wie etwa ein Bleistift oder ein Baum, so erübrigte sich jede längere Betrachtung. Stattdessen aber ist die »Liebe«, wie Ryle

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