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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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erstrebenswert: Wir wären uns selbst belanglos.
    Zu den spannendsten Gefühlen gehören unsere Wünsche. An diesem Punkt kommen wir wieder zur Liebe zurück. Kein Mensch lebt ohne Wünsche und vermutlich auch nicht ohne einen ganz bestimmten Wunsch: zu lieben und geliebt zu werden. Dieser Wunsch hat ohne Zweifel einen emotionalen Antrieb. Unser Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit, Zuwendung, Erregung ist sehr emotional. Die Liebe selbst dagegen ist wie gesagt keine Emotion, sondern mindestens ein Gefühl, verbunden mit einem ganzen Katalog an Vorstellungen. Doch wie kommt es vom schlichten emotionalen Bedürfnis zur komplexen Liebesvorstellung? Gibt es ein festes Band, das beides miteinander verknüpft? Im Tierreich nennen wir die Brücke vom Begehren zum Verhalten Instinkt. Trifft dies auch für die menschliche Liebe zu? Ist sie ein Instinkt?

Ist Liebe ein Instinkt?
    Der Vater der modernen Lehre vom Instinkt war der US-Amerikaner William James (1842-1910) aus Chocorua in New Hampshire. Als Professor in Harvard interessierte er sich nicht nur für Philosophie, sondern auch für Psychologie. Das Fach steckte Ende des 19. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. In Deutschland hatte der Biologe Wilhelm Wundt gerade das erste Institut für experimentelle Psychologie gegründet und die obskure Halbwissenschaft von der menschlichen Erfahrung auf eine naturwissenschaftliche Basis gestellt. Was vorher »Erfahrungsseelenkunde« war, wurde nun eine Forschungsdisziplin.
    Im Jahr 1890 veröffentlichte James The Principles of Psychology (Prinzipien der Psychologie), ein Werk von über tausend Seiten. Die erste Pointe des Buches war, dass alles Psychische, das der Mensch erlebt, nichts anderes sein sollte als eine Folge körperlicher Erregungen. So wie die Oxytocinisten die Liebe heute aus einer biochemischen Erregung erklären, so führte bereits James alle unsere Gefühle auf unseren Körper zurück. Sowohl Emotionen wie Gefühle waren für ihn nichts anderes als das Empfinden körperlicher Veränderungen. Anders ausgedrückt heißt das: Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen. Wir werden auch nicht in körperliche Erregung versetzt, weil wir von einem anderen Menschen fasziniert sind, sondern wir sind fasziniert, weil unser Körper uns in Erregung versetzt.
    Wenn Hormonforscher und Wissenschaftsjournalisten die Liebe heute auf biochemische »Formeln« bringen, dann stehen sie damit durchaus in James’ Tradition. Doch der brillante Psychologe war vor mehr als hundert Jahren schon ein ganzes Stück weiter als viele heutige Biochemiker und evolutionäre Psychologen. Zu der ersten Pointe bei James kommt nämlich noch eine zweite. Denn mag es auch sein, dass uns der Körper die Spielregeln
unserer Empfindungen vorgibt, so sind die Befehle doch durchaus nicht immer eindeutig. Im wirklichen Leben, so James, bewegen uns viele – zum Teil widersprüchliche – Instinkte. Wir können sexuell erregt sein, aber gleichzeitig auch schüchtern. Manchmal sind wir neugierig und ängstlich zugleich. Wir nehmen Anteil, wenn jemand ausrutscht, und können doch gleichzeitig ein Lachen nicht unterdrücken. Unsere Empfindungen können so unterschiedlich sein wie unsere Instinkte. Und was als verschiedene Emotionen seinen Ursprung in unseren Nerven hat, geistert als »gemischtes Gefühl« in unserem Kopf.
    Eine Psychologie, die Sinnesreize und Empfindungen untersucht, kann demnach den Menschen nicht vollständig erklären. Von der wissenschaftlich feststellbaren Erregung bis zum komplexen Verhalten ist es ein weiter Weg – ein zu weiter Weg für die empirische Psychologie, wie James meinte. Für ihn ist der Mensch das vermutlich einzige Tier, das sich mit sich selbst unterhält. Tagtäglich, Stunde um Stunde, Minute um Minute kommentiert das Me, unser Selbst, das I, unseren Bewusstseinsstrom, und setzt damit die klaren Vorgaben der Instinkte außer Kraft. Wo Emotionen und Vorstellungen sich in wilden Feuerwerken mischen, wo Reiz- und Reaktionsschemen sich durch Erfahrung verändern und Instinkte sich in ganz persönlichen Mustern überlagern, ist, so James, die Psychologie als Naturwissenschaft an ihrer Grenze. Denn wofür es keine klaren Gesetze gibt, dafür sollte man auch keine aufstellen.
    Instinkte sind Antriebe, die man nicht kontrollieren kann. Sie führen uns zielsicher durchs Leben – aber nur biologisch zielsicher. Sozial und kulturell sind sie unterstützungs- und korrekturbedürftig. Meine

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