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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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haben, ist uns zumeist wichtiger als das Fremder. Allerdings gilt das nicht immer. Doch wer generell mehr daran interessiert ist, weit entfernt stehende Menschen zu beeindrucken als seine nahen Freunde und Angehörigen, hat ohne Zweifel ein ernsthaftes Problem mit seinem Selbstbild: der Schein ersetzt das Sein.
    Wir erkennen uns wieder als den- oder diejenige, für den oder die wir uns halten. Und für wen wir uns halten, hängt davon ab, für wen uns andere halten. Gerade deswegen gehört Missachtung zu den Gefühlen, die wir am wenigsten ertragen. Die Achtung der anderen ist ein wichtiger Jungbrunnen unseres eigenen Wertschätzens. Und ein nicht unwesentlicher Punkt dabei ist für viele (wenn auch nicht für alle) Menschen ihre sexuelle Attraktivität. »Dieser neutrale Blick...!«, seufzte unlängst eine gute Bekannte, die darunter leidet, dass viele Männer sie aufgrund ihres Alters nicht mehr sexuell wahrzunehmen scheinen.
    Es ist unser Bild im Auge des anderen, das uns selbst Kontur
verleiht. Und das wichtigste all dieser Bilder ist jenes Bild, das uns ein Mensch zuwirft, den wir mehr schätzen als alle anderen – einen, den wir lieben und der uns liebt.

Deine Arme halten, was ich bin
    liegen, bei dir
ich liege bei dir. deine arme
halten mich. deine arme
halten mehr als ich bin.
deine arme halten, was ich bin
wenn ich bei dir liege und
deine arme mich halten.
    Ernst Jandl
     
    »Über die Liebe zu sprechen oder zu schreiben, sollte eigentlich den Liebenden und den Dichtern vorbehalten bleiben, denen also, die von ihr ergriffen sind. Wenn sich dagegen die Wissenschaft ihrer bemächtigt, bleibt von der Liebe oft wenig mehr übrig als Triebe, Reflexe und scheinbar machbare oder erlernbare Verhaltensweisen, als biologische Daten, messbare physiologische und testbare psychologische Reaktionen, die alle auch zum Phänomen Liebe gehören, mit denen wir es aber nicht erfassen.« 70 Diese mahnenden Worte des Münchner Psychoanalytikers Fritz Riemann, der selbst ein durchaus unpoetisches Buch über die Liebe schrieb, sollte man nicht ungehört lassen. Selbst wenn es die Absicht dieses Buches ist, die Liebe gerade nicht auf Triebe, Reflexe und messbare Testergebnisse zu reduzieren, so soll an dieser Stelle ein großer Dichter und Liebender das Wort erhalten.
    Das obige Gedicht des österreichischen Lyrikers Ernst Jandl
(1925-2000) ist eines der schönsten und zugleich wahrhaftigsten Liebesgedichte der Moderne. Wie Sartre war auch Jandl Gymnasiallehrer, und auch er litt unter Depressionen. Und in gewisser Weise ist Liegen, bei dir seine Transzendenz des Ego. Zwei Verben, liegen und halten, reichen aus, um eine Atmosphäre engster Vertrautheit und größter Innigkeit zu erzeugen. Im Gehaltenwerden durch den anderen erhält der Gehaltene seine Bedeutung: »Deine Arme halten, was ich bin, wenn ich bei dir liege und deine Arme mich halten.«
    Liebende verleihen einander Bedeutung durch die Bedeutung, die sie für den anderen haben. Seit unsere Eltern uns das erste instinktiv erspürte Gefühl von Bedeutung verliehen haben, kommen wir von dieser Sehnsucht nicht los. Die Art und Weise, wie wir die Zuwendung unserer Eltern erleben, wird uns unser Leben lang prägen: unsere Wünsche nach Innigkeit und Geborgenheit, Vertrauen und Stabilität, unsere ganz persönlichen Bedürfnisse nach Nähe und Distanz.
    Zu den typischen Eigenschaften aller Affen (einschließlich des Menschen) gehört, dass das Gefühl, das ein anderer uns entgegenbringt, das gleiche oder ähnliche Gefühl auch in uns selbst auslösen kann. Psychologen und Biologen sprechen hier von emotionaler »Ansteckung«. Unsere ersten Liebeserfahrungen, die wir als Kleinkinder machen, beruhen auf einer solchen Ansteckung: ein Lächeln, das ein Lächeln auslöst. Auf einer höheren Stufe des Bewusstseins, das zumindest bei allen Menschenaffen zu finden ist, bemühen wir uns darum, einen solchen Ansteckungseffekt bewusst herzustellen: Wir lächeln, um angelächelt zu werden. Auf einer dritten Stufe schließlich fühlen wir uns in den anderen hinein und bewerten dabei seinen emotionalen Zustand und seine Absichten. Im Alter von zwei Jahren fangen wir an, genauer zu unterscheiden, wen wir anlächeln wollen und wen nicht.
    Um uns in andere Menschen hineinversetzen zu können, müssen wir das Gefühl haben, ihre Gefühle nachvollziehen zu können.
Im Jahr 1992 machte eine Forschergruppe um den italienischen Hirnforscher Giacomo Rizzolatti dazu eine bahnbrechende Entdeckung. Bei

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