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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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Liebe ohne Begierde etwas anderes als der Versuch, sich an alkoholfreiem Bier zu berauschen?
    Das Milchpulver, das Lauster als »die Liebe« ausgibt, schmeckt nicht nach Milch. Es ist eine völlig neue Erfindung und ziemlich fad. Nur wenige, so scheint mir, wünschen sich eine solche weichgespülte Beziehung, die nicht kratzt. Lauster hat eine Liebe erfunden, die versucht, all die Widersprüche und Ungereimtheiten des Liebens aufzulösen. Aus einem unordentlichen Gefühl soll ein ordentliches werden: ein gutes, ein faires und eines, das vor allem nicht enttäuscht werden kann.
    In der Realität allerdings gehört die Unordnung zur Liebe dazu wie der Alkohol ins Bier. Tatsächlich nämlich suchen wir
in der Liebe Nähe und Distanz, intuitives Verständnis und Rückzugsräume, Sanftheit und Härte, Macht und Ohnmacht, Heilige und Hure, Großwildjäger und Familienvater. Und manchmal suchen wir nicht das eine nach dem anderen, sondern alles durcheinander, schwer zu entwirren, gleichzeitig und irgendwie doch nicht gleichzeitig.
    Wer einen solch hohen Anspruch an die Liebe stellt, der sucht nicht nur einen Partner, der immer nur das Beste für einen will. Wir wollen keinen Gemüts-Pfarrer, keinen Therapeuten, keinen Seelenarzt – wir wollen ein Gegenüber, an dem wir uns in jeder Hinsicht reiben können. Und wir wollen ebenso begehrt werden, wie wir selbst begehren. Als gesellige Tiere können wir nicht in uns selbst ruhen wie in einer sicheren Höhle. Der Blick des anderen und der anderen muss uns wichtig sein, wir sind so beschaffen. Jedes Selbstverhältnis ist, wie Sartre gezeigt hat, immer eine Frage des Blickes anderer Menschen auf uns. Niemand kann sich davon freimachen. Deshalb sollten wir auch keine Sehnsüchte formulieren, die einen solchen Zustand »innerer Freiheit« anstreben. Ich kann mich nicht alleine selbst finden. Welches »Selbst« sollte das auch sein? Selbstgenügsamkeit ist aller Dummheit Anfang.
    Konzepte einer »selbstlosen« Liebe sind eine Zumutung. Das gilt sowohl für die christliche Version dieses Gedankens wie für die psychotherapeutische. Letztere ist im anglo-amerikanischen Sprachraum populär als unconditional love (bedingungslose Liebe). Ihr inquisitorischer Grundsatz, dass die Liebe Teilen bedeute und nicht Verlangen, ist einseitig. Ebenso ihre unmenschliche Maxime, dass jeder Streit unter Liebenden auf eine falsche Selbstliebe zurückzuführen sei. Eine solche selbstlose Liebe ist nicht nur unrealistisch und unterkomplex, sie geht schlicht und einfach am Sinn der Sache vorbei. Die Pointe der Liebe ist immer, dass es auch um unser eigenes Glück geht. Man sollte auch bedenken, dass manche Psychotherapeuten zwar eine selbstlose Liebe predigen, aber wohl nur die wenigsten tatsächlich selbstlos
geliebt werden möchten. Ein Mensch, der uns selbstlos liebt, entwertet sich selbst und damit auch zugleich den Wert seiner Liebe.
    Der Mythos von der Selbstlosigkeit der Liebe wird oft begleitet von einer zweiten Anforderung: dem Mythos von der unbedingten Gemeinsamkeit. Auch er ist eines der hartnäckigsten Gerüchte über die Liebe. Liebende müssen sich gut überlegen, was sie miteinander teilen wollen, räumlich wie psychisch. Intimitätsräume, zu denen der Partner keinen Zutritt hat, sind keine bürgerlichen Barrieren und Blockaden, sondern sie tun uns im Regelfall gut – ansonsten wären sie nicht den meisten Menschen ein ganz selbstverständliches Bedürfnis. Jemanden zu lieben, bedeutet nicht, ihm in jeder Lebenssituation nahe sein zu wollen, jeden Gedanken zu teilen und jede Empfindung. Denn wenn es stimmt, dass Liebe eine Sache des Sichnahekommens ist, so braucht man zugleich auch immer die Distanz, von der aus man sich einander nähert. Die Überwindung der Distanz ist kein notwendiges Übel, sondern ein wichtiger Bestandteil des Liebens selbst.
    Der Hamburger Psychotherapeut Michael Mary wird in seinen klugen Büchern nicht müde, diese enorme Bedeutung der Distanz zu betonen, weil »Individuen genauso nötig, wie sie Verbundenheit suchen, auf Getrenntheit angewiesen sind«. 76 Die Liebe befreit einen Menschen aus dem Käfig seiner Psyche, indem sie ihn durch eine sehr wichtige fremde Wahrnehmung bereichert, die sein Selbst- und Weltbild maßgeblich erweitert. Doch wenn dies stimmt, so bedeutet es zugleich, dass es ohne Fremdheit nicht geht. Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, so ist die totale Verschmelzung immer eine schöne Illusion. Denn noch die ständige Versicherung der

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