Liebe
besaß er ein Penthouse am Riverside-Drive in New York. Bis zuletzt hatte er sich für den Weltfrieden und für einen humanistischen Sozialismus engagiert. Die Forderung nach einer Abkehr von den materiellen Bedürfnissen, die sich in seinen Büchern findet, nahm er allerdings nie persönlich. Umso unerklärlicher ist die nur auf den ersten Blick sympathische Verurteilung des Habenwollens. Warum ist Habenwollen so schlimm? Ist es wirklich böse? Ist denn nicht auch das optimale »Sein« etwas, das ich haben will? Gibt es zu unserem Verlangen, unserer Begierde nach etwas, überhaupt eine Alternative? Will nicht jeder Mensch etwas haben, und sei es nur seine Ruhe und seinen Seelenfrieden?
Die Vorstellung, ohne ein Habenwollen auskommen zu können, ist eine Luxusidee für Wohlstandsmenschen. Ohne es zu ahnen, hatte Fromm ein Buch geschrieben, das den Zeitgeist der 1970er und 1980er Jahre vorwegnahm. Feministinnen gefiel die Kritik an der männlichen Raubtiermentalität des Kapitalismus; die Umweltbewegung beseelte die Vorstellung von einem sauberen Leben jenseits des dreckigen Gefahrenindustrialismus; Esoteriker mochten die Spiritualität in der Vorstellung eines möglichst anspruchslosen Lebens. Erich Fromms Die Kunst des Liebens wurde die Bibel einer Wohlstandsgesellschaft, die unbedingt ihr »Sein« haben wollte.
Und genau hier setzen Fromms Nachfolger im Geiste heute noch immer an. Er ist der Vater jener psychologischen Ratgeber, die zu Hunderten in den Buchhandlungen lauern, ein Konvolut von Ködern, die Sinnsucher in aller Welt anziehen, Menschen auf der Suche nach sexuellem und spirituellem Glück, nach Befriedigung und Erlösung.
Selbstlose Liebe?
Selbstredend kann man das, was in seiner Nachfolge auf den Buchmarkt kam, Fromm nicht persönlich anlasten. Und man wird auch nicht bestreiten können, dass er das Gute gewollt hat, als er so manchem Unsinn den Weg bahnte, der sich heute in den Regalen der Buchhandlungen zusammendrängt.
Der Kölner Psychologe Peter Lauster zum Beispiel verkaufte mehr als eine Million Exemplare seines Buches Die Liebe . Psychologie eines Phänomens. Zumindest im deutschsprachigen Raum war er damit in den 1980er und 1990er Jahren so erfolgreich wie heute John Gray und die Peases. Und ebenso wie jene schreibt Lauster bevorzugt für Frauen. Ihr Geschlecht kommt deutlich besser weg, denn Frauen sind zumeist stärker »sensitiv«. Sensitivität ist das Zauberwort, und ihrem »Fließen« sollte nichts im Weg stehen, auch nicht die Ehe und die Treue. Wer sich hinter den Barrieren der Ehe verschanzt, wer Treue für ein wichtigeres Gut hält als Sensitivität, dessen Psyche ist »krankhaft« und »verkümmert«.
Was in der Maske esoterischer Nettigkeit daherkommt, ist in Wahrheit eine Terrorformel. Zunächst einmal muss man feststellen, dass die schreckliche Forderung, stets im »Hier und Jetzt« zu leben, die Lauster an seine Leser richtet, an der Realität unserer Alltags- und Arbeitswelt völlig vorbeigeht. Nur Buddhas, Asoziale und Millionäre können sich das leisten. Für die anderen ist dieser Erlösungsweg eine Überforderung und ein Fluch. Denn so gesehen leben wir alle ständig an uns selbst vorbei. Dazu kommt die Arroganz dieser Sein-statt-Haben-Lehre, fast alle Menschen der westlichen Welt als verkümmert anzusehen und ihre Psyche zu pathologisieren. Wie in Adornos Kritischer Theorie sind die meisten unserer natürlichen Bedürfnisse falsche Bedürfnisse und unsere emotionalen Reaktionen falsche Reaktionen.
Der Erfolg dieses sanften Gesinnungsterrors ist hinlänglich
bekannt. Auch seine unheilvollen Folgen für die ungezählten Debatten zwischen streitenden Paaren. Wer sich unverstanden fühlt, sucht nun Zuflucht zu seinem »wahren Ich«, das vom Partner so sehr verkannt wird. Nicht der Stress am Arbeitsplatz, den der Partner am Abend zu spüren bekommt, nicht der vielfältige Leistungsdruck, dem man sich bis ins Bett ausgesetzt fühlt, nicht die vielen kleinen und großen Gefühle von Neid, Missgunst und Eifersucht sind schuld an den Problemen einer Beziehung – nein, es ist die Entfremdung vom »wahren Ich«. Dieses »wahre Ich« ist der Atomkern, der mich im Innersten zusammenhalten soll und auch sehr glücklich machen könnte, wenn die anderen mich nur lassen würden.
Wer von William James gelernt hat, dass unser Verhalten nicht auf einfache Instinkte zurückgeführt werden kann, wer bei Stanley Schachter gesehen hat, dass wir unsere Gefühle nicht »haben«, sondern
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