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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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und auch soziologisch ausgefeilter sind die »5 Strategien der pragmatischen Liebe« des Journalisten Christian Schuldt in seinem schönen Buch Der Code des Herzens. Diese Strategien lauten: »Bodenhaftung bewahren«, weil Idealisierungen ein Garant sind für Enttäuschungen; »Vorsicht vor Verschmelzungen«, weil die Idee einer totalen Fusion der Herzen zwar betörend ist, aber eben auch hochgradig beziehungsgefährdend; »Konflikte managen«, weil Liebende im paranoiden Zustand der Dauerbeobachtung sich unweigerlich streiten müssen; »Mit Kalkül zum Gefühl«, da der größte Feind der Romantik die Routine ist und man von daher um gezielte Liebeswiederbelebungsmaßnahmen nicht herumkommt und »Romantik im Rückspiegel: Ich sehe was, was ich nicht sehe«. Es bedeutet, dass es nicht schaden kann, seine eigenen romantischen Gefühle zu beobachten, um sich selbst besser einzuschätzen.
    Alle fünf Strategien sind klug und richtig. Und das Gute an ihnen ist: Weder kokettieren sie mit der vermeintlich naturwissenschaftlichen Faktizität von »Formeln«, noch sehen sie sich als unbedingtes Erfolgsrezept. Sie basieren auch nicht auf Experimenten in US-amerikanischen Universitäten, sondern auf soziologischer Lektüre und kluger Reflexion. Ihr wichtigster Kern ist die Einsicht, dass das Verstehen des anderen nicht eine Frage der Technik ist, sondern ein Akt des Willens!
    Nur den wenigsten Menschen mangelt es tatsächlich an der Fähigkeit, die Gefühle und Gedanken des anderen nachzuvollziehen. Wichtiger für unser Zusammenleben und auch für die Liebe ist, ob wir gewillt sind, dies auch zu tun. Denn Liebende lieben zwar die Illusion eines gemeinsamen Interesses. Aber diese
Illusion beruht allein auf der Feinabstimmung von Erwartungen, die niemals völlig identisch sind.
    Dass es einige gute Ideen dafür gibt, wie man bestimmte Konflikte in Beziehungen und Ehen eindämmen kann, ist klar. Aber keine dieser Ideen ist eine Formel, ein Allheilmittel oder ein Garant für den langfristigen Erhalt von Zuneigung und Interesse. Unsere Faszination für einen anderen Menschen erlischt nicht nur deshalb, weil ich im Umgang mit ihm etwas falsch mache oder der andere mit mir. Sie erlischt auch dann, wenn sich vermeintliche Übereinstimmungen und auf den ersten Blick aufregende Charakterzüge mit der Zeit als weit fremder oder weit nervtötender herausstellen, als wir uns am Anfang vorstellen konnten.
    Wenn wir uns verlieben und diese Liebe erwidert wird, erschaffen wir eine großartige Illusion: Wir glauben, dass nahezu alles an dem anderen wunderbar ist. Diese Illusion wird im Laufe der Zeit mehr und mehr an unseren Bedürfnissen überprüft; manchmal bleibt von der Faszination viel übrig, manchmal hingegen nur sehr wenig oder gar nichts. Bezeichnenderweise lebt die Illusion des Anfangs also gerade davon, dass sich die Verliebten nicht kennen. Mit Michael Mary gesagt: »Gerade dieses Fremdsein schafft die Voraussetzung für ihre scheinbar vollständige Übereinstimmung. Gerade weil sie sich in vielen Aspekten ihrer Persönlichkeit nicht kennen, können sie den Eindruck gewinnen, sich ganz und gar zu verstehen. Um den Eindruck des völligen Verstehens nicht zu beschädigen, konzentrieren sich die Liebespartner darauf, nur Verbindendes zu kommunizieren. Sie tauschen zärtliche Blicke und Berührungen aus, Küsse und Sexualität, erzählen sich Geschichten aus ihrem Leben, hören sich gegenseitig geduldig zu, träumen von einer gemeinsamen Zukunft, schwören sich ewige Liebe. Sie kommunizieren, was Erwiderung findet, und vermeiden, was Ablehnung hervorruft.« 78
    Marys Beschreibung, wie sich eine Illusion bildet, ist sehr überzeugend. Obwohl man ein wenig daran zweifeln kann, dass es
am Anfang tatsächlich in einem so hohen Maße um Gemeinsamkeiten gehen soll. Ist es nicht auch die Lust an der Andersartigkeit des anderen, die unsere Gefühle häufig in Wallung versetzt? Oft verlieben wir uns in Menschen, die auf magische Art und Weise zu uns zu passen scheinen. Aber ebenso oft verlieben wir uns auch in Menschen, die uns faszinieren, weil sie tolle Eigenschaften zu haben scheinen, die wir gerade nicht haben. Wenn es stimmt, dass wir nicht nur Bindung und Sicherheit suchen, sondern ebenso Neues und Aufregendes, so sind Neugier und Fremdheit ebenso wichtige Zutaten des Verliebens wie Sicherheit und Gemeinsamkeit. Richtig unverzichtbar ist das blinde Verständnis eigentlich nur in einer Frage: dass der andere eine vergleichbare Intensität

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