Liebe
interpretieren, und wer von der Hirnforschung weiß, dass unser Ich in zahlreiche unterschiedliche Ich-Zustände zerfällt, der wird diesem »wahren Ich« nichts abgewinnen können. Für die anderen aber ist das »wahre Ich« der esoterische Gott einer gottlosen Welt: schöpferisch und unsichtbar, aber durch Meditation und Versenkung erfahrbar. Es ist wahrhaftig und unbestreitbar. Und vor allem: Es ist ein verdammt guter Grund dafür, warum die anderen schuld sind. Denn da das »wahre Ich« immer gut ist, müssen es logischerweise die anderen sein, Menschen und Umstände, die mein Leben misslingen lassen.
Lausters Buch über die Liebe ist vor allem eines: Es ist asozial. Überall in der Gesellschaft lauert das Böse, wie einst bei Rousseau. Der Kapitalismus stiftet unausgesetzt zum Kaufen an und fördert die falschen Werte. Vor allem die Männer folgen ihm blind nach und stürzen sich ins Haben statt ins Sein. Und das, was sie am gierigsten haben wollen, ist Sex. Dass Lauster all diese natürlichen Bedürfnisse als Verirrungen abstempelt, ist schon vermessen genug. Noch schlimmer aber ist seine Veralberung
der Frauen, indem er sie allen Ernstes als die besseren Menschen anpreist. Zur Strafe fällt ihnen dafür die selbstgerechte Rolle zu, die Männer zu »heilen«.
Man müsste sich mit diesem Unsinn nicht näher beschäftigen, wenn nicht zu befürchten wäre, dass er bereits einen immensen Schaden in den Gehirnen ungezählter Leser hinterlassen hat. Insbesondere der Glaube, dass Frauen die besseren Menschen seien, ist in unserer Gesellschaft auf abenteuerlichem Vormarsch. Die Krankheiten der Männer lägen in ihrer Fixierung auf die Vernunft, den Verdrängungen ihrer seelischen Probleme und in ihrer Sexsucht. Viel zu heilen für die Frauen und die Therapeuten.
Die böse Pointe daran wird sichtbar, wenn man dieses Zerrbild von den Männern umdreht. Dann kommt zum Vorschein, dass Frauen angeblich minder vernünftig, seelisch stärker im Lot und sexuell vergleichsweise weniger bedürftig sein sollen. Ein kleiner Blick über den Seitenrand des Buches in das Leben realer Frauen straft alle drei Unterstellungen Lügen. Gar nicht zu reden von den obskuren Wertungen dieser Teestuben-Psychologie: Warum soll die Vernunft eigentlich so übel sein? Warum soll ich so etwas Langweiliges dauerhaft anstreben wollen, wie seelisch im Lot zu sein? Und was ist eigentlich so schlecht daran, wenn mich die Lust oft und gierig durchströmt?
Dass Interessante an Lausters Glückskeks-Sprüchen ist der Zuspruch, den sie ganz offensichtlich erfahren. Allem Anschein nach liegt das an der unerschrockenen Sicherheit, mit der Lauster zu kennen scheint, was andere nur dunkel ahnen. Seine Vorlage dürfte dabei in den beliebten Aufklebern der 1970er Jahre zu finden sein, auf denen quadratköpfige Männchen erklärten: » Liebe ist ...« In Lausters Kapitelüberschriften heißt es: »Liebe ist Zuwendung«; »Liebe ist Meditation«; »Liebe ist Selbstfindung«. Beschreibend klingt das nicht, eher vor schreibend. Von Gilbert Ryles »Kategorienfehlern« bei diesen Definitionen gar nicht zu reden.
Sollte Liebe tatsächlich Meditation sein, ist Meditation dann
auch Liebe? Und will man mit einer Liebe à la Lauster überhaupt etwas zu tun haben? Nach Lauster ist »die Liebe ein begierdeloses Schauen, ein begierdeloses Erkennen, sie genügt sich selbst, sie entwickelt sich ohne Gier, und ihre Erfüllung geschieht ohne Begierde. Es ist schwer, diesen Gedanken in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen, für einen konsumorientierten Menschen, der frustriert und gierig ist, weil er seinen Bezug zur Welt bisher nicht erfahren hat.« 75
Versuchen wir tatsächlich diesen Gedanken in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen, selbst wenn es schwer sein soll. Gehen wir davon aus, dass Lauster einen exklusiven Zugang zu höheren Weisheiten hat, die vielen anderen ein Leben lang verborgen bleiben. Und nehmen wir auch die Arroganz in der Maske des Wohlwollens hin, die über 90 Prozent der Menschheit zu traurigen, weil konsumgeilen und damit seelisch minderwertigen Fällen erklärt. Konzentrieren wir uns also nur auf die Hauptthese, die Liebe sei ein »begierdeloses Schauen«.
Welche Frau und welcher Mann wünschen sich in ihrer Beziehung oder Ehe, »begierdelos« angeschaut zu werden? Und wer träumt von einer »Erfüllung ohne Begierde«, einem interesselosen Wohlgefallen also? Wenn man der Liebe diese Würze nimmt, wem soll sie dann noch schmecken? Ist geschlechtliche
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