Lieben: Roman (German Edition)
Skärholmen oder so tauschen? In irgendeinem Vorort? Hier ist doch alles tot.«
Skärholmen war eine der Trabantenstädte mit hohem Einwandereranteil, wir hatten dort an einem Samstag den Flohmarkt besucht und waren verblüfft über die Lebendigkeit und Andersartigkeit gewesen.
»Das denke ich auch«, sagte ich. »Es dürfte praktisch unmöglich sein, das hier zu unserer Wohnung zu machen.«
Gleichzeitig war der Gedanke, dort einzuziehen, verlockend. Groß, schön, mitten in der Stadt. Was spielte es da für eine Rolle, dass wir in den Zimmern verschwanden? Vielleicht würde es uns aber auch gelingen, sie zu bekämpfen, sie zu bezwingen, uns das Bürgerliche zu eigen zu machen?
Ich habe das Bürgerliche, das Ehrbare immer gewollt. Dass es all diese steifen Formen und festen Regeln gibt, um das Innere an seinem Platz zu halten, es zu regulieren, es zu etwas zu machen, womit man leben kann, und es nicht etwas ist, was das Leben immer und immer wieder aufwühlt. Aber wenn ich mich im Bürgerlichen aufhielt, zum Beispiel bei Großmutter und Großvater oder bei Tonjes Vater, kam es mir vor, als machte es all das Andere in mir sichtbar, das dort nicht hineinpasste, das aus den Formen und Rahmen fiel, all das, was ich an mir selber hasste.
Aber hier? Linda und ich und ein Kind? Ein neues Leben, eine neue Stadt, eine neue Wohnung, ein neues Glück?
Diese Vorstellung überwand den düsteren und leblosen ersten Eindruck, den die Wohnung gemacht hatte, wir redeten uns warm und in Begeisterung, nachdem wir uns in dem Bett dort geliebt hatten; als wir hinterher, jeder mit einem Kissen unter dem Kopf, dalagen und rauchten, zweifelten wir nicht, unser neues Leben begann hier.
Ende April kehrte Geir aus dem Irak zurück, und wir gingen in einem amerikanischen Restaurant in der Altstadt essen, er war so aufgekratzt und voller Leben, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, und es vergingen Wochen, bis alles, was er dort erlebt hatte, all die Menschen, denen er begegnet war und die mir mit der Zeit immer vertrauter wurden, so ausgeschöpft waren, dass auch andere Dinge Platz fanden in ihm und dem, worüber er sprach. Anfang Mai schafften Linda und ich unsere Sachen hinüber, Anders half uns, und als wir fertig waren, zogen wir los, um die ganze Wohnung zu putzen. Wir benötigten den Nachmittag und den ganzen Abend, und als wir um elf immer noch nicht fertig waren, sank Linda plötzlich mit dem Rücken zur Wand zu Boden.
»Ich kann nicht mehr!«, rief sie. »Es geht nicht!«
»Noch eine Stunde«, sagte ich. »Höchstens anderthalb. Das schaffst du.«
Sie hatte Tränen in den Augen.
»Wir rufen meine Mutter an«, sagte sie. »Wir müssen nicht heute Abend fertig werden. Sie kommt morgen in die Stadt und übernimmt einen Teil der Arbeit. Das ist kein Problem. Das weiß ich.«
»Du willst einen anderen deine Wohnung putzen lassen?«, sagte ich. »Deinen Dreck wegwischen lassen? Du kannst nicht jedes Mal, wenn du ein Problem hast, nach deiner Mutter rufen. Du bist verdammt noch mal dreißig Jahre alt!«
Sie seufzte.
»Ja, ich weiß«, sagte sie. »Ich bin nur wirklich völlig fertig. Und sie kann das erledigen. Sie hat damit kein Problem.«
»Aber ich. Und das sollte dir genauso gehen.«
Sie griff nach dem Putzlappen, stand auf und fuhr fort, den Türrahmen zum Badezimmer zu schrubben.
»Aber ich kann hier den Rest übernehmen«, sagte ich. »Geh ruhig. Ich komme dann später nach.«
»Bist du sicher?«
»Ja, klar. Ist in Ordnung.«
»Okay.«
Sie zog ihre Jacke an, ging in die Dunkelheit hinaus, und ich putzte den Rest, und es stimmte, was ich gesagt hatte, es machte mir nichts aus. Am nächsten Tag schafften wir meine Sachen in die Wohnung, will sagen meine Bücher, deren Zahl mittlerweile auf zweieinhalbtausend angewachsen war, eine Tatsache, die Anders und Geir, die mir beim Schleppen halfen, von ganzem Herzen und inbrünstig verfluchten, als wir die Kisten aus dem Aufzug in die Wohnung schleppten. Geir verglich es natürlich mit dem Schleppen von Munitionskisten bei den US Marines, eine Beschäftigung, die für ihn nur ein paar Wochen zurücklag, mir dagegen so fremd war wie Postkutschen und Büffeljagd. Als die Umzugskisten in zwei riesigen Stapeln in den beiden Zimmern standen, begann ich, die Wände zu streichen, während Linda nach Norwegen fuhr, um eine Rundfunkreportage über den Nationalfeiertag am 17. Mai zu machen. Sie würde bei meiner Mutter wohnen, die sie außer in den wenigen Stunden in Stockholm nicht
Weitere Kostenlose Bücher