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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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mehr gesehen hatte. Nachdem sie in den Zug gestiegen war, rief ich Mutter an, denn es quälte mich etwas, und zwar all die von Tonje hinterlassenen Spuren, insbesondere das Hochzeitsfoto, das bei meinem Besuch zu Weihnachten noch an der Wand gehangen hatte, sowie das Album mit den Hochzeitsbildern. Dem wollte ich Linda nicht aussetzen, ich wollte nicht, dass sie das Gefühl bekam, am Rande meines Lebens zu sein, ein Ersatz, und nach einer kleinen Einleitung, in der wir uns gegenseitig erzählten, was seit dem letzten Mal passiert war, kreiste ich das Thema langsam ein. Ich wusste, dass es dumm und im Grunde für mich, für Linda und sie herabwürdigend war, aber ich konnte es einfach nicht lassen, der Gedanke, dass es Linda verletzen könnte, war mir unerträglich,
so dass ich es schließlich sagte. Ob sie das Hochzeitsfoto abhängen oder zumindest an eine diskretere Stelle schaffen könne. Ja, das ließ sich machen, es war sogar schon geschehen, wir waren ja nicht mehr verheiratet. Und was ist mit dem Fotoalbum, sagte ich. Du weißt schon, dem von der Hochzeit. Kannst du das nicht wegstellen? Oh nein, mein Lieber, antwortete Mutter. Das ist mein Fotoalbum. Es repräsentiert eine Zeit in meinem Leben. Das will ich nicht verbergen. Linda wird damit schon zurechtkommen, sie weiß doch, dass du verheiratet warst. Ihr seid erwachsene Menschen. Okay, sagte ich, da hast du Recht, es ist dein Fotoalbum. Ich will sie nur nicht verletzen. Das tust du nicht, erwiderte Mutter, das ist schon in Ordnung. Dass Linda zu ihr fuhr, war mutig, eine ausgestreckte Hand, und es lief hervorragend, wir telefonierten mehrmals täglich, und sie sprach darüber, dass ihr die westnorwegische Landschaft die Sinne raubte, all dieses Grün und Blau und Weiß, all diese hohen Berge und tiefen Fjorde, fast menschenleer, immer in Sonne getaucht, versetzten sie in einen beinahe traumwandlerischen Zustand. Sie rief aus einer kleinen Pension in Balestrand an, beschrieb die Aussicht vor ihrem Fenster, das Plätschern der Wellen, das sie hören konnte, wenn sie sich hinauslehnte, und ihre Stimme war voller Zukunft. Bei allem, was sie sagte, sprach sie von uns, so fasste ich es auf. Dass die Welt so schön war, hing mit uns zusammen, denn in ihr waren wir ein Paar, ja, es war fast so, dass wir die Welt waren. Ich erzählte ihr, wie schön die großen Zimmer aussahen, seit sie nicht mehr grau, sondern weiß waren. Auch ich war von Zukunft erfüllt. Ich freute mich darauf, dass sie nach Hause kommen und sehen würde, was ich gemacht hatte, und ich freute mich darauf, dort zu wohnen, mitten in der Stadt, und auf das Kind, das wir bekommen wollten. Wir legten auf, ich strich weiter, der nächste Tag war der 17. Mai, und am Nachmittag bekam ich Besuch von
Espen und Eirik. Sie hatten an einem Kritikerseminar in Biskops-Arnö teilgenommen. Wir gingen essen, ich stellte ihnen Geir vor, zwischen ihm und Eirik lief es gut, das heißt, die beiden unterhielten sich ungezwungen über dies und das, aber zwischen Geir und Espen lief es weniger gut. Geir sagte ein paar Selbstverständlichkeiten, Espen zweifelte sie an, und als Geir das merkte, erstarrte er, und das war es dann schon. Ich versuchte wie üblich zu vermitteln, will sagen, Espen etwas mit der einen Hand und Geir etwas mit der anderen zu geben, aber es war zu spät, sie würden sich niemals unterhalten, einander niemals mögen oder respektieren. Ich mochte beide, um nicht zu sagen alle drei, aber so war es in meinem Leben immer gewesen, zwischen den verschiedenen Teilen waren die Schotten dicht, und ich verhielt mich in jedem einzelnen von ihnen so unterschiedlich, dass ich mich ertappt fühlte, wenn sie zusammengeführt wurden und ich nicht nur auf die eine Art oder nur auf die andere Art sein konnte, sondern diese laufend vermengen musste, also mich fremdartig verhalten oder schweigen musste. Ich mochte Espen so, gerade weil er Espen war, und Geir so, gerade weil er Geir war, und dieser Charakterzug, eigentlich sympathisch, jedenfalls in meinen Augen, brachte gleichzeitig auch immer ein Gefühl der Verlogenheit mit sich.
    Linda hatte den ganzen Tag mit meiner Familie verbracht, erzählte sie am nächsten Morgen; mit Mutter war sie nach Dale hinausgefahren, wo Mutters Schwester Kjellaug und ihr Mann Magne auf ihrem Hof hoch über dem Dorf lebten, und sie hatten den 17. Mai in traditioneller Weise gefeiert. Sie hatte Leute interviewt, und den Dingen, die sie erzählte, entnahm ich, dass sie das Ganze höchst

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