Lieben: Roman (German Edition)
nach etwas Konzentration, die ich zudem dafür aufbringen musste, das Gleichgewicht zu halten, sah ich, dass zwischen neun und zehn Uhr morgens ein Zug gehen würde. Jetzt war es vier.
Was sollte ich in der Zwischenzeit tun?
Ich fand eine Bank am hinteren Ende der Halle und legte mich schlafen. Vor dem Einschlafen lautete mein letzter Gedanke, dass ich nicht schwach werden durfte, wenn ich wach wurde, sondern an meinem Entschluss festhalten musste, nie mehr Stockholm, ganz gleich, wie nüchtern ich dann sein würde.
Ein Wachmann rüttelte an meiner Schulter, ich schlug die Augen auf.
»Sie können hier nicht liegen bleiben«, sagte er.
»Ich warte auf einen Zug«, erwiderte ich und setzte mich langsam auf.
»In Ordnung. Aber schlafen können Sie hier nicht.«
»Sitzen?«, sagte ich.
»Wohl kaum«, sagte er. »Sie sind betrunken, nicht wahr? Es ist vielleicht das Beste, Sie gehen nach Hause.«
»Okay«, sagte ich. Stand auf.
Hoppla. Tja, immer noch betrunken.
Es war kurz nach acht. Der Bahnhof war voller Menschen. Ich sehnte mich nur nach einem: zu schlafen. Mit einem unendlich schweren Kopf, der zugleich in einer Art Fieber brannte, so dass kein Eindruck darin haften blieb und mir alles, was ich sah, entglitt, trottete ich durch die U-Bahngänge, setzte mich in einen Zug, stieg Zinkensdamm aus, und ging zur Wohnung hinauf, deren Schlüssel ich nicht hatte, so dass ich anklopfen musste.
Ich musste schlafen. Alles andere war nebensächlich.
Im Flur hinter der Glastür kam Linda angerannt.
»Oh, da bist du ja«, sagte sie und legte die Arme um mich. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ich habe jedes einzelne Krankenhaus in der Stadt angerufen. Ob ein großer Norweger eingeliefert worden ist… Wo bist du gewesen?«
»Im Hauptbahnhof«, sagte ich. »Ich wollte den Zug nach Norwegen nehmen. Aber jetzt muss ich schlafen. Lass mich bitte in Ruhe und weck mich nicht.«
»Okay«, sagte sie. »Möchtest du etwas Bestimmtes, wenn du aufwachst? Cola, Speck?«
»Das ist mir scheißegal«, sagte ich, stolperte in die Wohnung, streifte die Kleider ab, schlüpfte unter die Decke und schlief im nächsten Moment ein.
Als ich wach wurde, war es dunkel. Linda saß auf dem Stuhl in der Küche und las unter dem Licht der watvogelartigen Lampe, die lang und dünn auf einem Bein stand und deren Kopf, ein wenig schief hängend, ihren beschien.
»Hallo«, sagte sie. »Wie geht es dir?«
Ich füllte ein Glas mit Wasser und leerte es in einem Zug.
»Es geht mir gut«, sagte ich. »Wenn man einmal von der Angst absieht.«
»Es tut mir sehr leid, was gestern passiert ist«, sagte sie, legte das Buch auf die Armlehne und stand auf.
»Mir auch«, erwiderte ich.
»Stimmt es, dass du abhauen wolltest?«
Ich nickte.
»Das wollte ich. Ich hatte genug.«
Sie legte die Arme um mich.
»Das kann ich verstehen«, sagte sie.
»Es ging nicht nur darum, was nach der Party passiert ist. Es geht um viel mehr.«
»Ja«, sagte sie.
»Komm, wir gehen ins Zimmer«, sagte ich, füllte das Glas ein weiteres Mal, setzte mich an den Esszimmertisch. Linda folgte mir, schaltete die Deckenlampe ein.
»Erinnerst du dich daran, wie es war, als ich das erste Mal hier war?«, sagte ich. »In diesem Zimmer, meine ich?«
Sie nickte.
»Du meintest, du würdest glauben, dass du dabei bist, mich lieb zu gewinnen.«
»Das war ein Understatement.«
»Ja, das ist mir heute auch klar. Aber damals fühlte ich mich gekränkt. Jemanden ›lieb gewinnen‹ hört sich auf Norwegisch reichlich schwach an, es ist so etwas, das man von ›einem lieben Freund‹ sagt. Ich wusste nicht, dass es im Schwedischen dasselbe war wie ›sich verlieben‹ im Norwegischen. Ich habe
geglaubt, du würdest sagen, dass du anfängst, mich ein bisschen zu mögen und dass auf Dauer daraus etwas mehr werden könnte. So habe ich es verstanden.«
Sie lächelte flüchtig und blickte auf den Tisch.
»Ich habe damals alles auf eine Karte gesetzt«, sagte sie. »Brachte dich hier herauf und sagte dir, was ich für dich empfand. Und dann warst du so kalt. Du sagtest, wir könnten Freunde sein, erinnerst du dich? Ich hatte alles riskiert und alles verloren. Ich war so verzweifelt, als du gegangen bist.«
»Aber jetzt sitzen wir hier.«
»Ja.«
»Du kannst mir nicht sagen, was ich zu tun habe, Linda. Das geht nicht. Dann haue ich ab. Ich meine nicht nur das Trinken. Ich meine alles. Das geht einfach nicht.«
»Ich weiß.«
Es entstand eine Pause.
»Hatten wir nicht noch
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