Lieben: Roman (German Edition)
heute?«
»Entschuldige«, sagte ich. »Aber so schlimm ist es nun auch wieder nicht, oder?«
Sie antwortete nicht, ging los. Sagte kein einziges Wort auf dem ganzen Weg durch den Bahnhof. Auf der Rolltreppe zum Klarabergsviadukt hinauf fing sie an, mich zu beschimpfen. Rüttelte an der Tür zu der Apotheke am oberen Ende, aber es war Sonntag, und sie war geschlossen. Wir gingen die Straße hinab zu der Apotheke, die dem Kaufhaus NK gegenüber lag. Auf dem ganzen Weg war sie außer sich vor Wut. Ich ging neben ihr wie ein begossener Pudel. Die zweite Apotheke war offen, Scheiße, ich habe dich so satt, sagte sie, ich begreife nicht, warum ich mit dir zusammenlebe, du denkst nur an dich. Bedeutet dir das denn gar nichts, was gestern passiert ist?, sagte sie, dann war sie an der Reihe. Sie bat um einen Schwangerschaftstest, bekam ihn, bezahlte, wir gingen hinaus, die Regeringsgatan hinauf, sie warf mir in einem gleichmäßigen Redestrom weiter Vorwürfe an den Kopf, und die Leute, an denen wir vorbeigingen, starrten uns an, aber das war ihr egal, ihr Zorn, vor dem ich immer Angst gehabt hatte, umhüllte sie vollständig. Ich hätte sie gerne gebeten aufzuhören, hätte sie gerne gebeten, nett zu sein, ich hatte mich entschuldigt,
und es war ja auch nicht so, als hätte ich etwas getan, es gab keine Verbindung zwischen unseren SMS und der Tatsache, dass ich mit einem Gast aus Norwegen weitertrank, auch nicht zwischen der Tatsache, dass ich mich betrunken hatte, und dem Schwangerschaftstest, den sie in der Hand hielt, aber so sah sie das nicht, für sie gehörte das alles zusammen, sie war eine Romantikerin, sie hatte einen Traum von uns beiden, von der Liebe und von unserem Kind, und mein Verhalten machte diesen Traum zunichte oder erinnerte sie daran, dass es ein Traum war. Ich war ein schlechter Mensch, ein verantwortungsloser Mensch, wie konnte ich überhaupt auf den Gedanken kommen, Vater zu werden? Wie konnte ich ihr so etwas zumuten? Ich ging neben ihr und brannte vor Scham, weil die Leute uns ansahen, und brannte vor Schuld, weil ich getrunken hatte, und brannte vor Angst, weil sie mit ihrer rasenden Wut mich und den Menschen frontal angriff, der ich war. Es war demütigend, aber solange sie Recht hatte, solange es stimmte, was sie sagte, dass dies der Tag war, an dem wir möglicherweise erfuhren, ob wir ein Kind bekommen würden, und ich mich betrunken mit ihr getroffen hatte, konnte ich sie nicht bitten aufzuhören, sie nicht bitten, zur Hölle zu fahren. Sie hatte Recht oder war im Recht, und ich musste den Kopf senken und mich damit abfinden.
Mir kam der Gedanke, dass Eirik womöglich in der Nähe war, und ich senkte den Kopf noch mehr, denn es war fast die schlimmste Vorstellung überhaupt, dass mich jemand so sehen könnte, der mich kannte.
Wir gingen die Treppe hinauf, betraten die Wohnung. Frisch gestrichen, alles an seinem Platz: Das war unser Zuhause.
Sie nahm es nicht einmal wahr.
Ich blieb mitten im Zimmer stehen.
Sie hatte mit ihrer Wut auf mich eingedroschen wie ein Boxer auf einen Sandsack. Als wäre ich ein Ding. Als hätte
ich keine Gefühle, ja, als hätte ich kein inneres Leben, als wäre ich nur dieser leere Körper, der in ihrem Leben herumlief.
Ich wusste, dass sie ein Kind erwartete, ich war mir ganz sicher und war es von dem Moment an gewesen, als wir miteinander schliefen. Jetzt passiert es, hatte ich gedacht, jetzt werden wir ein Kind bekommen.
Und dann stand es so um uns.
Als ich dort stand, öffnete sich plötzlich alles in mir. Meine Verteidigung brach zusammen. Ich besaß nichts, um mich zu wehren. Ich brach in Tränen aus. Die Art von Tränen, bei denen ich die Kontrolle über alles verliere und sich alles ins Groteske verzerrt.
Linda blieb stehen, drehte sich um und sah mich an.
Sie hatte mich niemals weinen sehen. Seit Vaters Tod hatte ich nicht mehr geweint, und das war inzwischen fast fünf Jahre her.
Sie schien panische Angst zu haben.
Ich wandte mich ab, ich wollte nicht, dass sie mich so sah, denn das verzehnfachte die Demütigung. Es ging nicht nur darum, dass ich kein Mensch war, ich war auch kein Mann.
Aber es half natürlich nicht, mich wegzudrehen. Es half nicht, das Gesicht in den Händen zu verbergen. Es half nicht, in den Flur zu gehen. Es war so hemmungslos, ich weinte so hemmungslos, alle Schleusen öffneten sich.
»Aber Karl Ove«, sagte sie hinter mir. »Lieber Karl Ove. So habe ich das doch nicht gemeint. Ich war nur so enttäuscht. Aber das macht
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