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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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jetzt hast du den Tisch ruiniert.
    Eines Abends wurde ich so wütend auf sie, dass ich mit voller Wucht ein Glas in den Kamin warf. Seltsamerweise zersprang es nicht. Typisch, dachte ich hinterher, nicht einmal die klassische Aktion »Werfen eines Glases während eines Streits« gelang mir.
    Wir gingen zusammen zu einem Geburtsvorbereitungskurs, der Saal war rappelvoll, und das Publikum reagierte auf alles, was am Rednerpult gesagt wurde, ausgesprochen sensibel; war es auch nur ansatzweise kontrovers, will sagen aus einem biologischen Blickwinkel kommend, ging ein leises Raunen durch den Raum, denn dieser Vortrag wurde in einem Land gehalten, in dem das Geschlecht eine soziale Konstruktion war, und für den Körper gab es außerhalb dessen, was nach Auffassung aller die Vernunft war, keinen Platz. Instinkt, hieß es vorne, nein, nein, nein, flüsterten die aufbrausenden Frauen im Saal, wie können Sie so etwas sagen! Ich sah in einer der Sitzreihen eine Frau weinen, ihr Mann kam zehn Minuten zu spät, und ich dachte, ich bin nicht der Einzige. Als er schließlich eintraf, schlug sie ihn mit der Faust in den Bauch, während er möglichst behutsam versuchte, sie aus
diesem Zustand heraus zu einer beherrschteren und würdigeren Haltung zu führen.
    So lebten wir, in jähen Umschwüngen zwischen dem Ruhigen und Friedlichen, dem Optimistischen und Warmen, und plötzlichen Wutanfällen. Jeden Morgen nahm ich die Bahn nach Åkeshov, und sobald ich in die U-Bahn-Station hinunterkam, war alles, was daheim vorging, aus meinen Gedanken verschwunden. Ich betrachtete das Menschengewimmel in der unterirdischen Station, saugte die Atmosphäre auf, setzte mich in den Zug und las, blickte auf die Vorstadthäuser hinaus, an denen wir vorüberglitten, als wir den Untergrund verlassen hatten, las, blickte auf die Stadt hinaus, wenn wir die große Brücke überquerten, las, liebte, ja wirklich, liebte jeden Stopp an den kleinen Haltestellen, stieg in Åkeshov aus, so ziemlich der Einzige, der zur Arbeit in diese Richtung fuhr, ging den knappen Kilometer zu meinem Büro, arbeitete den ganzen Tag. Der Text war inzwischen fast hundert Seiten lang und wurde immer eigenartiger; nach der Einleitung mit dem Krabbenfischen wurde er rein essayistisch und entwickelte Theorien über das Göttliche, die ich nie zuvor gedacht hatte, aber in eigentümlicher Weise, basierend auf den Prämissen, die sie setzten, ihre Richtigkeit hatten. Ich hatte eine russisch-orthodoxe Buchhandlung aufgetrieben, die wirklich eine Fundgrube war, da es dort alle möglichen seltsamen Schriften gab, ich kaufte sie, machte mir Notizen und schaffte es kaum, meiner Freude Herr zu werden, wenn ein weiteres Element in meiner Pseudotheorie seinen Platz fand, bis ich am Nachmittag nach Hause fuhr, und das Leben, das mich dort erwartete, langsam zurückkehrte, sobald sich der Zug der Haltestelle Hötorget näherte. Manchmal fuhr ich früher in die Stadt, wenn wir zur Kontrolle in die sogenannte Mütterberatungsstelle mussten, wo ich auf einem Stuhl saß und bei Lindas Kontrolluntersuchung zusah, wobei es um Blutdruck
und Blutproben, Herzgeräusche und die Vermessung des Bauchs ging, der stetig wuchs, wie er sollte, es war alles in Ordnung, alle Werte glänzend, denn wenn Linda etwas hatte, dann körperliche Stärke und eine stabile Gesundheit, was ich ihr möglichst oft sagte. Gegen das Gewicht und die Sicherheit des Körpers war die Besorgnis nichts, eine summende Fliege, eine wirbelnde Feder, eine Staubwolke.
     
    Wir fuhren zu IKEA und kauften eine Wickelkommode, die wir mit Stapeln von Tüchern und Handtüchern füllten, und an die Wand klebte ich eine Reihe von Postkarten mit Bildern von Robben, Walen, Fischen, Schildkröten, Löwen, Affen und den Beatles in ihrer farbenfrohen Phase, damit unser Kind sah, in welch fantastische Welt es gekommen war. Yngve und Kari Anne schickten uns ihre abgelegten Babykleider, während der Kinderwagen, den er uns versprochen hatte, zu Lindas wachsender Verärgerung auf sich warten ließ. Eines Abends explodierte sie, der Wagen werde nie ankommen, auf meinen Bruder sei kein Verlass, wir hätten einen eigenen kaufen sollen, wie sie es die ganze Zeit gesagt hatte. Bis zum Geburtstermin waren es noch zwei Monate. Ich rief Yngve an und murmelte andeutungsweise etwas über den Wagen und die Irrationalität schwangerer Frauen, er meinte, das werde sich schon regeln, ich sagte, das wisse ich, aber trotzdem, ich müsse fragen. Wie ich das hasste, wie

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