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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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standen auf, legten das Geld auf den Tisch und gingen.
    »Dann werden wir eben an Bord essen müssen«, sagte ich zu Linda, die nur schweigend und finster nickte. Das Boot kam mit seinen wirbelnden Schiffsschrauben, ich schleppte das Gepäck an Deck, winkte Mutter zu und fand einen Sitz ganz vorn.
    Wir aßen jeder eine weiche, fast feuchte Pizza, einen Fladen Brot und einen Joghurt. Linda legte sich schlafen. Als sie erwachte, war alles, was in ihr gewesen war, wie weggeblasen. Heiter und offen saß sie neben mir und redete. Ich betrachtete sie tief erstaunt. War es um meine Mutter gegangen? Ging es darum, an einem fremden Ort zu sein? Oder dass wir mein Leben besuchten, wie es war, bevor sie ein Teil davon wurde? Und nicht um die Angst, das Kind zu verlieren? Denn die musste jetzt doch noch genauso akut sein wie zuvor, oder nicht?
    Wir flogen von Bergen nach Hause, sie wurde am nächsten Tag untersucht, es war alles in bester Ordnung. Das kleine Herz schlug, der kleine Körper wuchs, alle messbaren Werte waren perfekt.
    Nach der Untersuchung in einer Klinik in der Altstadt setzten wir uns in der Nähe in eine Konditorei und sprachen darüber, wie die Kontrolluntersuchung verlaufen war. Das taten wir nach jeder Kontrolle. Eine Stunde später nahm ich die U-Bahn den langen Weg nach Åkeshov hinaus, wo ich ein neues Büro gefunden hatte, denn in dem alten im Turm zu sitzen, ertrug ich am Ende nicht mehr, woraufhin die mit Linda befreundete Autorin und Filmregisseurin Maria Zennström mir zu einem Spottpreis einen verwohnten Raum dort draußen angeboten hatte. Er lag im Keller eines Wohnhauses, in dem tagsüber kaum ein Mensch war, so dass ich vollkommen allein zwischen den Betonwänden saß und schrieb, las oder in den Wald hinausstarrte, wo sich ungefähr alle fünf Minuten die Waggons der Bahn zwischen den Bäumen hindurchschlängelten.
Ich hatte Spenglers Der Untergang des Abendlandes gelesen, und an seinen Zivilisationstheorien ließ sich einiges kritisieren, aber was er über den Barock und das Faustische schrieb, über die Aufklärung und das Organische, war originell und meisterhaft; einiges davon übernahm ich praktisch eins zu eins in den Roman, der, wie ich erkannt hatte, das siebzehnte Jahrhundert zum Zentrum haben musste. Alles entsprang dieser Zeit, damals trennte sich die Welt, auf der einen Seite befand sich die alte und unbrauchbare, die gesamte magische, irrationale, dogmatische und autoritätsgläubige Tradition, auf der anderen all das, was sich zu der Welt entwickelte, in der wir lebten.
    Der Herbst verging, der Bauch wurde größer, Linda beschäftigte sich mit zahlreichen kleinen Dingen, zog irgendwie alles an sich, brennende Kerzen und heiße Bäder, Stapel von Babykleidern im Schrank, Fotoalben wurden zusammengestellt, Bücher über Schwangerschaft und das erste Lebensjahr des Kindes gelesen. Ich freute mich unheimlich darüber, als ich es sah, konnte mich selber aber nicht dort hineinbegeben, mich nicht einmal annähern, denn ich musste ja schreiben. Ich konnte mit ihr zusammen sein, mit ihr schlafen, mit ihr reden, mit ihr spazieren gehen, aber nicht fühlen wie sie oder handeln wie sie.
    Ab und zu gab es Wutanfälle. Eines Morgens verschüttete ich Wasser auf den Küchenteppich, ging zur U-Bahn, ohne der Sache Aufmerksamkeit zu schenken und als ich nach Hause kam, gab es an der Stelle einen großen gelben Fleck. Ich fragte, was passiert war, sie sah mich schamerfüllt an, nun ja, als sie in die Küche gekommen war, hatte sie den Fleck gesehen, den ich auf dem Teppich hinterlassen hatte, und war daraufhin so wütend geworden, dass sie den ganzen Orangensaft darauf ausgeschüttet hatte. Dann war das Wasser jedoch getrocknet, und ihr war klar geworden, was sie getan hatte.
    Den Teppich mussten wir wegwerfen.
    Eines Abends ritzte sie die Platte des Esstischs auf, den sie von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte – er war Bestandteil eines kleinen Möbelensembles, für das diese seinerzeit ein Vermögen bezahlt hatte –, weil ich mich nicht ausreichend für den Brief an die Entbindungsstation interessierte, den sie geschrieben hatte. Es ging darin um ihre Wünsche und Vorlieben, und ich nickte, wenn sie einen Vorschlag vorlas, aber offenbar nicht einfühlsam genug, denn plötzlich zog sie mit aller Kraft, immer und immer wieder, den Stift über die Tischplatte. Was tust du denn da?, sagte ich. Es ist dir völlig egal, sagte sie. Ach quatsch, sagte ich. Es ist mir natürlich nicht egal. Aber

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