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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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fünfziger Jahre und eine Jeans, die an den Beinen umgeschlagen war. Seine Haare waren ebenfalls wie in den Fünfzigern, und er hatte einen Backenbart. Aber es war seine Ausstrahlung, die ihn so anders machte, dass man sich seiner Gegenwart am Tisch so bewusst war, obwohl er kaum etwas sagte.
    In Stockholm war ich einmal auf einer Party gewesen, zu der auch ein Boxer gekommen war. Er saß ebenfalls in der Küche, und seine körperliche Präsenz war genauso greifbar
gewesen und flößte mir ein klares, aber unangenehmes Gefühl von Unterlegenheit ein. Dass ich ihm unterlegen war. Der Abend sollte mein Gefühl dann in seltsamer Weise bestätigen. Die Party fand bei Cora statt, einer Freundin Lindas, und ihre Wohnung war klein, so dass überall Leute standen und sich unterhielten. Die Anlage im Wohnzimmer spielte Musik. Die Straßen waren schneebedeckt. Linda war hochschwanger, es würde vermutlich die letzte Party sein, auf die wir gehen konnten, bevor das Kind kommen und alles verändern würde, und obwohl sie müde war, wollte sie deshalb versuchen, ein wenig zu bleiben. Ich trank etwas Wein und unterhielt mich mit Thomas, einem Fotografen und Freund Geirs; Cora kannte ihn über ihre Mitbewohnerin, eine Lyrikerin, die in Biskops-Arnö Coras Mentorin gewesen war. Linda saß auf einem Stuhl, den sie wegen ihres Bauchs ein Stück herausgezogen hatte, sie lachte und war fröhlich, und das Insichgekehrte und Schwachglühende, was sie in den letzten Monaten bekommen hatte, nahm außer mir wahrscheinlich keiner wahr. Nach einer Weile stand sie auf und ging hinaus, ich lächelte ihr zu und wandte meine Aufmerksamkeit danach erneut Thomas zu, der etwas über die Gene von Rothaarigen sagte, die an dem Abend auffallend häufig vertreten waren.
    Irgendwo klopfte jemand.
    »Cora!«, hörte ich. »Cora!«
    War das Linda?
    Ich stand auf und ging in den Flur.
    Jemand klopfte von innen gegen die Badezimmertür.
    »Bist du das, Linda?«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie. »Ich glaube, die Tür hat sich verklemmt. Kannst du bitte Cora holen? Dafür gibt es bestimmt irgendeinen Trick.«
    Ich ging ins Wohnzimmer und tippte Cora, die in der einen
Hand einen Teller mit Essen und in der anderen ein Glas Rotwein hielt, auf die Schulter.
    »Linda hat sich im Badezimmer eingeschlossen«, sagte ich.
    »Oh nein!«, sagte sie, setzte Glas und Teller ab und eilte hinaus. Die beiden berieten sich eine Weile durch die verschlossene Tür, und Linda versuchte, die Anweisungen zu befolgen, die sie bekam, aber es half alles nichts, die Tür war und blieb verschlossen. Alle in der Wohnung hatten mittlerweile mitbekommen, was los war, und es herrschte eine zugleich muntere und erregte Stimmung, eine ganze Gruppe stand im Flur zusammen und gab Linda im Badezimmer Ratschläge, während Cora, ängstlich und verwirrt, laufend wiederholte, dass Linda hochschwanger war und wir irgendetwas tun mussten. Schließlich wurde entschieden, einen Schlosser zu rufen. Während wir auf ihn warteten, stand ich vor der Tür und sprach mit Linda dahinter, und mir war zum einen unangenehm bewusst, dass alle hörten, was ich sagte, zum anderen aber auch mein Mangel an Tatkraft. Konnte ich nicht einfach die Tür eintreten und sie da rausholen? Einfach so?
    Ich hatte noch nie eine Tür eingetreten und wusste nicht, wie stabil diese hier sein mochte. Falls der Tritt keine Wirkung zeigen sollte, wie dumm würde ich dann dastehen?
    Eine halbe Stunde später traf der Schlosser ein. Er legte eine Leinentasche mit Werkzeug auf den Fußboden und begann, an dem Schloss zu werkeln. Er war klein, trug eine Brille und hatte den Ansatz einer Glatze, sprach nicht mit den Menschen, die ihn umringten, sondern versuchte es mit einem Werkzeug nach dem anderen, ohne dass es etwas nützte, die Tür blieb trotz allem verschlossen. Am Ende gab er auf und sagte zu Cora, es gehe nicht, diese Tür bekomme er einfach nicht auf.
    »Und was sollen wir jetzt tun?«, sagte Cora. »Sie ist hochschwanger!«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Ihr werdet sie eintreten müssen«, antwortete er und begann, sein Werkzeug zusammenzupacken.
    Wer sollte sie eintreten?
    Das würde ich dann wohl übernehmen müssen, ich war Lindas Mann, es war meine Verantwortung.
    Das Herz in meiner Brust pochte.
    Sollte ich das tun? Vor den Augen aller einen Schritt zurücktreten und mit voller Wucht zutreten?
    Und wenn die Tür sich nicht vom Fleck rührte? Oder aufschlug und Linda traf?
    Sie musste in einer Ecke Zuflucht suchen.
    Ich

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