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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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atmete ein paar Mal tief durch, aber das half mir nicht, innerlich zitterte ich weiter. In dieser Weise die Aufmerksamkeit aller auf mich zu ziehen, war für mich ganz furchtbar. Dass ich dabei Gefahr lief zu scheitern, machte die Sache nur noch schlimmer.
    Cora schaute sich um.
    »Wir müssen die Tür eintreten«, sagte sie. »Wer könnte das tun?«
    Der Schlosser verließ die Wohnung. Wenn ich es tun wollte, musste ich jetzt vortreten.
    Aber ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen.
    »Micke«, sagte Cora. »Er ist Boxer.«
    Sie wollte zu ihm ins Wohnzimmer gehen.
    »Ich kann ihn ja fragen«, sagte ich. Damit überspielte ich immerhin das Demütigende an der Situation, denn damit sagte ich ihm offen, als Lindas Mann, dass ich es nicht wagte, die Tür einzutreten, aber ihn als Boxer und Hüne bat, es für mich zu tun.
    Er stand mit einem Bier in der Hand am Fenster und unterhielt sich mit zwei jungen Frauen.
    »Hallo, Micke«, sagte ich.
    Er sah mich an.
    »Sie ist immer noch im Bad eingesperrt. Der Schlosser hat die Tür nicht aufbekommen. Meinst du, du könntest sie vielleicht eintreten?«
    »Klar«, sagte er und sah mich einen Augenblick an, ehe er seine Flasche abstellte und in den Flur ging. Ich folgte ihm. Als er kam, machten die Leute Platz.
    »Bist du da drin?«, sagte er.
    »Ja«, antwortete Linda.
    »Geh so weit von der Tür weg, wie du kannst. Ich trete sie jetzt ein.«
    »Okay«, sagte Linda.
    Er wartete kurz. Dann hob er den Fuß und trat so kraftvoll gegen die Tür, dass das ganze Schloss herausgeschlagen wurde. Holzspäne stoben durch die Luft.
    Als Linda auftauchte, applaudierte jemand.
    »Du Ärmste«, sagte Cora. »Es tut mir so leid. Dass das aber auch ausgerechnet dir passieren muss, und auch noch jetzt…«
    Micke drehte sich um und ging.
    »Wie geht es dir?«, fragte ich.
    »Gut«, antwortete Linda. »Aber ich glaube, wir sollten vielleicht bald nach Hause gehen.«
    »Sicher«, sagte ich.
    Im Wohnzimmer wurde die Musik ausgeschaltet, zwei Frauen Anfang dreißig wollten ihre theatralischen Gedichte lesen, ich gab Linda ihre Jacke, zog meine eigene an und verabschiedete mich von Cora und Thomas. In mir brannte die Scham, aber der letzte Akt stand noch aus, denn ich musste mich bei Micke bedanken und bahnte mir einen Weg durch die Lyrik-Zuhörer und blieb vor ihm am Fenster stehen.
    »Vielen Dank«, sagte ich. »Du hast sie gerettet.«
    »Ach Unsinn«, erwiderte er und zog seine mächtigen Schultern hoch. »Das war doch nicht der Rede wert.«
    Auf dem Heimweg im Taxi sah ich Linda kaum an. Ich war
nicht tätig geworden, als es erforderlich war, sondern so feige gewesen, dass ich das Feld einem anderen Mann überließ, und all das lag in meinem Blick. Ich war ein jämmerlicher Wicht.
    Als wir im Bett lagen, wollte sie wissen, was los sei. Ich sagte ihr, dass ich mich schämte, weil ich die Tür nicht eingetreten hatte. Sie sah mich erstaunt an. Der Gedanke war ihr nie gekommen. Warum hätte ich das tun sollen? Dafür war ich doch gar nicht der Typ?
    Der Mann, der nun auf der anderen Seite des Tisches saß, hatte eine ähnliche Ausstrahlung wie jener Boxer in Stockholm. Es hing nicht mit Körpergröße oder Muskelmasse zusammen, denn obwohl einige der Menschen hier durchtrainierte und kräftige Oberkörper hatten, wirkten sie gleichwohl leicht, ihre Präsenz im Raum war flüchtig und unwichtig wie die eines zufälligen Gedankens, es war etwas anderes, und wenn ich ihm begegnete, zog ich jedes Mal den Kürzeren und sah mich als den gehemmten und schwachen Mann, der ich war, der dieses Leben in der Welt der Worte lebte. Darüber grübelte ich nach, während ich in unregelmäßigen Abständen zu ihm hinübersah und gleichzeitig mit einem Ohr dem laufenden Gespräch lauschte. Mittlerweile ging es um unterschiedliche pädagogische Ansätze und welche Schulen sich die Einzelnen für ihre Kinder vorstellten. Nach einem kleinen Intermezzo, währenddessen Linus von einem Sporttag erzählte, bei dem er dabei gewesen war, wandte sich die Unterhaltung Immobilienpreisen zu. Man hielt fest, dass sie in den letzten Jahren steil angestiegen waren, in Stockholm allerdings stärker als hier, und dass es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit war, bis sich der Trend umkehrte, möglicherweise würden die Preise sogar ebenso jäh fallen, wie sie gestiegen waren. Daraufhin drehte sich Linus zu mir um.
    »Wie sind denn eigentlich die Immobilienpreise in Norwegen?« , sagte er.
    »Ähnlich wie hier«, antwortete ich.

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