Lieben: Roman (German Edition)
gingen in den Hinterhof. Anders zündete eine Art Docht an, der Ballon füllte sich langsam mit heißer Luft, und als Anders schließlich losließ, stieg er an der Hauswand entlang lautlos und leuchtend in die Höhe. Unsere Augen folgten ihm, bis er über den Dächern Östermalms verschwand. Drinnen setzten wir uns wieder an den
Tisch. Die Gespräche waren nun fahriger und weniger konzentriert, sammelten sich gelegentlich jedoch in einem Punkt, etwa als Linda von der High-Society-Party berichtete, auf der sie einmal in ihrer Gymnasialzeit in einer Villa mit einem großen Schwimmbecken war, hinter dem es eine riesige Glaswand gab. Sie erzählte, dass sie im Laufe des Abends schwimmen gingen und dass sie gegen die Glaswand getreten hatte, als sie ins Wasser sprang, die daraufhin zersplitterte und in einer Million rasselnder Scherben zusammensackte.
»Das Geräusch werde ich niemals vergessen«, sagte sie.
Anders erzählte von einer Reise in die Alpen, bei der er abseits der Piste gefahren war und sich plötzlich der Untergrund vor ihm aufgetan hatte. Mit den Skiern an den Füßen stürzte er ungefähr sechs Meter tief senkrecht in eine Gletscherspalte und verlor das Bewusstsein. Er wurde mit einem Hubschrauber geholt, hatte sich das Rückgrat gebrochen und lief Gefahr, gelähmt zu werden, wurde sofort operiert und lag wochenlang im Krankenhaus, während sein Vater, wie er erzählte, ab und zu neben ihm auf einem Stuhl saß, wie in einem Traum, und nach Schnaps roch.
Daraufhin stellte er sich vor uns, beugte sich vor und zog das Hemd am Rücken hoch, um uns die lange Operationsnarbe zu zeigen.
Ich erzählte von damals, als ich siebzehn war und uns bei hundert Stundenkilometern mitten in der Einöde der Telemark ein Reifen platzte und wir einen Mast streiften und über eine Straße flogen und in einem Graben landeten, wie durch ein Wunder unverletzt, denn das Auto war Schrott. Das Schlimmste war jedoch nicht der eigentliche Unfall gewesen, sondern die anschließende Kälte, es waren zwanzig Grad unter Null, mitten in der Nacht, wir trugen T-Shirts und Jacketts und Turnschuhe, waren auf einem Konzert von Imperiet gewesen und standen stundenlang herum, ohne dass uns jemand mitnahm.
Ich schenkte Anders, Geir und mir Cognac ein, Linda gähnte, und Helena begann, eine Geschichte aus Los Angeles zu erzählen, als plötzlich irgendwo im Haus ein Alarm schrillte.
»Was zum Teufel ist das?«, sagte Anders. »Feueralarm?«
»Es ist doch Silvester«, sagte Geir.
»Müssen wir raus?«, fragte Linda und richtete sich auf der Couch ein wenig auf.
»Ich schaue erst mal nach«, antwortete ich.
»Ich komme mit«, sagte Geir.
Wir gingen in den Hausflur hinaus. Es war jedenfalls kein Rauch zu sehen. Das Geräusch kam aus dem Erdgeschoss, so dass wir die Treppe hinuntereilten. Das Licht über dem Aufzug blinkte. Ich lehnte mich vor und blickte durch das Fenster in der Tür. Es lag jemand auf dem Boden. Ich öffnete die Tür. Es war die Russin. Sie lag auf dem Rücken, einen Fuß gegen die Wand gestemmt. Sie war festlich gekleidet, in einem schwarzen Kleid mit Pailletten auf der Brust, einer hautfarbenen Strumpfhose und hochhackigen Schuhen. Als sie uns sah, lachte sie. Ich sah reflexartig auf ihre Schenkel und den schwarzen Slip dazwischen, ehe ich den Blick auf ihr Gesicht richtete.
»Ich komme nicht mehr hoch!«, erklärte sie.
»Wir helfen Ihnen«, sagte ich, packte einen Arm und zog sie in sitzende Position. Geir trat auf der anderen Seite in den Aufzug, und es gelang uns mit vereinten Kräften, sie auf die Beine zu stellen. Sie lachte die ganze Zeit. Der Dunst von Parfüm und Schnaps hing schwer in dem kleinen Raum.
»Vielen Dank«, sagte sie. »Tausend, tausend Dank.«
Sie nahm meine Hände in ihre, beugte sich vor und küsste sie, erst die eine, dann die andere. Anschließend blickte sie zu mir hoch.
»Oh, du schöner Mann«, sagte sie.
»Kommen Sie, wir helfen Ihnen nach oben«, sagte ich, drückte auf den Knopf ihrer Etage und schloss die Tür. Geir grinste über das ganze Gesicht und sah dabei abwechselnd sie und mich an. Als der Aufzug hochglitt, stützte sie sich schwer auf mich.
»So«, sagte ich. »Da wären wir. Haben Sie den Schlüssel?«
Sie schaute in die kleine Handtasche, die über ihrer Schulter hing, und schwankte vor und zurück wie ein Baum im Wind, während ihre Finger in deren Inhalt wühlten.
»Hier!«, verkündete sie triumphierend, als sie ein Schlüsselbund herauszog.
Geir stemmte den Arm
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