Lieben: Roman (German Edition)
bereits, aber nur ganz leicht, denn als ich mich auszog, schlug sie die Augen auf und lächelte mich schläfrig an.
»War es ein schöner Abend?«, sagte ich.
»Ja, es war schön«, antwortete sie.
»Meinst du, er hat ihnen gefallen?«, sagte ich und legte mich neben sie.
»Ja, ich denke schon. Meinst du nicht?«
»Doch. Da bin ich mir ziemlich sicher. Mir hat er jedenfalls Spaß gemacht.«
Das Licht der Straßenlaternen ließ den Fußboden schwach schimmern. In diesem Zimmer wurde es niemals richtig dunkel. Und niemals richtig still. Draußen knallten immer noch Raketen, auf der Straße wurden weiter Stimmen lauter und leiser, Autos rauschten vorbei, jetzt sogar vermehrt, da sich die Silvesternacht ihrem Ende zuneigte.
»Aber unsere Nachbarin macht mir langsam ernsthaft Sorgen«, sagte Linda. »Es ist kein gutes Gefühl, sie im Haus zu haben.«
»Nein«, sagte ich. »Aber da kann man wohl nicht viel machen.«
»Nein.«
»Geir meinte, sie sei eine Prostituierte«, sagte ich.
»Natürlich«, sagte Linda. »Sie arbeitet für irgend so eine Begleitagentur.«
»Woher weißt du das?«
»Das merkt man doch.«
»Ich nicht«, sagte ich. »Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen.«
»Weil du so naiv bist«, sagte Linda.
»Das bin ich vielleicht.«
»Oh ja.«
Sie lächelte und lehnte sich vor, um mich zu küssen.
»Gute Nacht«, sagte sie.
»Gute Nacht«, sagte ich.
Dass wir eigentlich zu dritt im Bett lagen, war gedanklich kaum zu fassen. Aber so war es. Das Kind in Lindas Bauch war vollständig ausgebildet; einzig eine zentimeterdünne Wand aus Fleisch und Haut trennte es von uns. Es konnte jeden Tag geboren werden, was Linda vollkommen ausfüllte. Sie fing nichts Neues mehr an, verließ kaum noch das Haus, suchte vielmehr Ruhe, behütete sich und ihren Körper, nahm lange Bäder, lag da und schaute Filme, döste und schlief. Es war beinahe ein Dämmerzustand, aber die Sorge war dennoch nicht ganz von ihr gewichen. Mittlerweile verunsicherte sie vor allem meine Rolle bei dem Ganzen. Im Geburtsvorbereitungskurs hatte man uns erzählt, die Chemie zwischen der werdenden Mutter und der Hebamme sei sehr wichtig, und falls sich die beiden nicht einig sein sollten, wenn es also aus irgendeinem Grund zu einer Verstimmung komme, sei es wichtig, möglichst früh Bescheid zu geben, damit eine neue und hoffentlich passendere Hebamme übernehmen konnte. Weiterhin wurde uns mitgeteilt, die Rolle des Mannes während der Geburt sei in erster Linie die eines Kommunikators; er kenne seine Frau am besten und verstehe, was sie wolle, und müsse dies, da die Frau anderweitig beschäftigt sei, an die Hebammen weitergeben. Hier kam ich ins Bild. Ich sprach Norwegisch, würden die Hebammen und Krankenschwestern überhaupt verstehen, was ich sagte? Und, viel schlimmer, ich war konfliktscheu und nahm in einer Situation stets Rücksicht auf alle: Würde ich also fähig sein, zu einer eventuell furchtbaren Hebamme Nein zu sagen und um eine neue zu
bitten, angesichts all dessen, was dies an verletzten Gefühlen mit sich bringen mochte?
»Entspann dich, entspann dich, das klappt schon alles«, sagte ich darauf, denk nicht daran, das regelt sich, aber damit gab sie sich nicht zufrieden, denn ich war zum eigentlichen Grund ihrer Sorgen geworden. Würde ich überhaupt in der Lage sein, ein Taxi zu bestellen, wenn es soweit war?
Dass sie nicht ganz falsch lag, machte die Sache nicht unbedingt besser. Jede Form von Druck aus verschiedenen Richtungen setzte mich außer Gefecht. Ich wollte es allen recht machen, aber ab und zu tauchten nun einmal Situationen auf, in denen ich wählen und handeln musste, und dann litt ich Höllenqualen, denn das gehörte zum Schlimmsten, was mir überhaupt passieren konnte. Nun hatte ich in kurzer Zeit eine ganze Reihe von ihnen durchlebt, und sie war Zeugin geworden. Die Episode mit der abgeschlossenen Tür, die Episode mit dem Boot, die Episode mit meiner Mutter. Dass ich mich als Kompensation für das alles eines Morgens in der U-Bahn-Station so ins Zeug gelegt hatte, als ich in eine Schlägerei eingriff, sprach auch nicht unbedingt für mich, denn was sagte das eigentlich über mein Urteilsvermögen aus? Und wichtiger noch, ich wusste sehr wohl, dass es mir schwerer fallen würde, eine Hebamme hinauszuwerfen, als mich in einer U-Bahn-Station von einem Messer niederstechen zu lassen.
Dann, als ich eines Nachmittags auf dem Heimweg war und die Tasche mit dem Notebook und die beiden
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