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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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stützend gegen ihre Schulter, als sie, den Schlüssel auf das Schloss gerichtet, nach vorn kippte.
    »Treten Sie noch einen Schritt vor«, sagte er. »Dann klappt es.«
    Sie folgte seiner Anweisung. Nach einigen Sekunden des Tastens bekam sie den Schlüssel tatsächlich ins Schloss.
    »Tausend Dank!«, sagte sie erneut. »Ihr seid zwei Engel, die heute Abend zu mir gekommen sind.«
    »Nichts zu danken«, sagte Geir. »Und viel Glück.«
    Auf dem Weg die Treppe zu unserer Wohnung hinauf, sah Geir mich fragend an.
    »Das war eure verrückte Nachbarin?«, sagte er.
    Ich nickte.
    »Sie ist eine Prostituierte, stimmt’s?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete ich.
    »Sie muss eine sein, verstehst du. Sonst könnte sie es sich doch gar nicht leisten, hier zu wohnen. Und diese Ausstrahlung … Aber sie sah auch gar nicht mal so schlecht aus, was?«
    »Hör auf«, sagte ich und öffnete die Tür zu unserer Wohnung. »Sie ist eine ganz gewöhnliche Frau. Nur sehr unglücklich,
eine aus Russland stammende Alkoholikerin. Außerdem funktioniert ihre Impulskontrolle nicht.«
    »Ja, das kann man wohl sagen«, erwiderte Geir und lachte.
    »Was ist passiert?«, rief Helena aus dem Wohnzimmer.
    »Es war unsere russische Nachbarin«, sagte ich und ging hinein. »Sie war im Aufzug umgekippt und so betrunken, dass sie nicht mehr hochkam. Wir haben ihr in die Wohnung geholfen.«
    »Sie hat Karl Ove die Hände geküsst«, sagte Geir. »›Oh, du schöner Mann!‹ hat sie gesagt.«
    Alle lachten.
    »Und das, nachdem sie ein paar Mal vor unserer Tür gestanden und mich angebrüllt hat«, sagte ich, »und uns fast in den Wahnsinn getrieben hätte.«
    »Es ist ein Alptraum«, sagte Linda. »Sie ist völlig unberechenbar. Wenn ich auf der Treppe an ihr vorbeigehe, habe ich fast Angst, sie könnte ein Messer ziehen und mich niederstechen. Sie sieht mich wirklich hasserfüllt an. Mit tief empfundenem Hass.«
    »Ihre Zeit läuft allmählich ab«, sagte Geir. »Und dann zieht ihr mit einem dicken Bauch und nahendem Glück ein.«
    »Du meinst, darum geht es hier?«, sagte ich.
    »Natürlich«, sagte Linda. »Hätten wir uns am Anfang doch nur ein bisschen neutraler benommen. Aber wir sind ja offen auf sie zugegangen. Jetzt ist sie wie besessen von uns.«
    »Ja, ja«, sagte ich. »Hat noch jemand Platz für einen Nachtisch? Linda hat ihr berühmtes Tiramisu gemacht.«
    »Oh!«, sagte Helena.
    »Es ist berühmt, weil es der einzige Nachtisch ist, den ich kann«, sagte Linda.
    Ich holte es und den Kaffee, und wir setzten uns wieder an den Tisch. Kaum hatten wir das getan, als in der Wohnung unter uns die Musik loslärmte.
    »So geht das hier zu«, sagte ich.
    »Könnt ihr nicht dafür sorgen, dass sie hinausgeworfen wird?«, sagte Anders. »Wenn ihr wollt, regele ich das für euch.«
    »Und wie soll das gehen?«, sagte Helena.
    »Ich habe da so meine Methoden«, erwiderte Anders.
    »Aha?«, sagte Helena.
    »Ruft die Polizei«, sagte Geir. »Dann begreift sie, dass ihr es ernst meint.«
    »Meinst du wirklich?«, sagte ich.
    »Natürlich. Wenn ihr nichts Drastisches unternehmt, wird es immer so weitergehen.«
    Dann hörte die Musik ebenso abrupt auf, wie sie eingesetzt hatte. Die Wohnungstür unter uns knallte. Absätze klapperten auf der Treppe.
    »Kommt sie jetzt her?«, sagte ich.
    Alle saßen still und lauschten. Aber die Schritte passierten unsere Tür und stiegen weiter die Treppe hinauf. Unmittelbar darauf machten sie kehrt und entfernten sich abwärts. Ich ging zum Fenster und schaute hinunter. Nur im Kleid und mit einem Schuh an den Füßen, trat sie wankend auf die weiße Fahrbahn hinaus. Sie winkte, ein Taxi kam die Straße herauf. Es hielt, und sie stieg ein.
    »Sie nimmt ein Taxi«, sagte ich. »Mit einem Schuh. An Willenskraft fehlt es ihr jedenfalls nicht.«
    Ich setzte mich, und das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu. Gegen zwei brachen Anders und Helena auf, zogen ihre dicken Wintermäntel an, umarmten uns und begaben sich in die Nacht hinaus, Anders mit seiner schlafenden Tochter im Arm. Geir und Christina gingen eine halbe Stunde später. Geir, nachdem er noch einmal mit einem hochhackigen Schuh in der Hand zurückgekehrt war.
    »Wie Aschenputtel«, sagte er. »Was soll ich damit machen?«
    »Stell ihn vor ihre Tür«, sagte ich. »Und dann raus mit dir, wir wollen schlafen.«
    Als ich ins Schlafzimmer kam, nachdem ich im Wohnzimmer aufgeräumt und die Spülmaschine angestellt hatte, schlief Linda

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