Lieben: Roman (German Edition)
zwei der Boxer zu treffen, die er kannte. Der eine, Paolo Roberto, hatte um den Weltmeistertitel gekämpft, war mittlerweile in Schweden ein Fernsehprominenter und bereitete sich damals auf einen neuen Titelkampf, eine Art Comeback
vor. Der zweite, Osman, war auf demselben Level, aber noch nicht so bekannt. Begleitet wurden sie von einem englischen Trainer, der von Geir mit dem Titel »doctor in boxing« vorgestellt wurde. »He’s a doctor in boxing!« Ich gab ihnen die Hand, sagte nicht viel, beobachtete aber aufmerksam, was geschah, denn alles war anders, als ich es gewohnt war. Sie waren völlig entspannt, es lagen keinerlei Spannungen in der Luft, an deren ständiges Vorhandensein ich, erkannte ich plötzlich, gewöhnt war. Sie aßen Pfannkuchen und tranken Kaffee, ließen den Blick über die Leute schweifen, blinzelten in die tief stehende, aber noch warme Herbstsonne, unterhielten sich mit Geir über alte Zeiten. Obwohl sein Körper genauso ruhig war wie ihrer, war er doch erfüllt von einer anderen, leichteren und erregteren, fast nervösen Energie, die sich in seinen Augen zeigte, die stets nach irgendetwas Ausschau hielt, und in seiner Art zu sprechen, überbordend, einfallsreich, aber auch berechnend, denn er passte sich ihnen und ihrem Jargon an, während sie ausschließlich von sich selbst ausgehend redeten. Der Boxer namens Osman saß im Unterhemd, und obwohl seine Oberarmmuskeln dick waren, ungefähr fünf Mal so dick wie meine, wirkten sie nicht überdimensioniert, sondern schlank. Gleiches galt für den gesamten Oberkörper. Geschmeidig und entspannt saß er da, und wenn ich ihn ansah, dachte ich jedes Mal, dass er mich binnen weniger Sekunden zusammenschlagen könnte, ohne dass ich ihm irgendetwas entgegenzusetzen gehabt hätte, was mich mit einem Gefühl von Weiblichkeit erfüllte. Es war demütigend, aber die Demütigung war ganz allein meine Sache, sie war nicht sichtbar, nicht einmal zu erahnen. Trotzdem war sie da.
»Flüchtig«, sagte ich. »Letztes Jahr auf Mosebacke. Du hast sie mir vorgeführt, als wären sie zwei Zirkusäffchen.«
»Ich denke, die Äffchen waren wohl eher wir«, sagte Geir. »Aber egal, jedenfalls Osman. Er hat mit einem Kumpel einen
Geldtransport überfallen. Die Stelle, die sich die beiden dafür ausgesucht hatten, lag fünfzig Meter vom Polizeipräsidium entfernt. Und als sie sich anfangs ein bisschen verzettelten und die Wachleute es schafften, Alarm auszulösen, war die Polizei natürlich schon wenige Sekunden später da! Also warfen sie sich in den Wagen und fuhren ohne das Geld davon. Und dann ist ihnen das Benzin ausgegangen! Ha ha ha!«
»Ist das wahr? Das klingt ja wie bei den Panzerknackern.«
»Genau. Ha ha ha!«
»Und wie lief es für Osman? Bei einem bewaffneten Raubüberfall wird doch so schnell kein Auge zugedrückt, oder?«
»Es war halb so wild, er bekam nur zwei Jahre. Aber sein Freund hatte so viele Vorstrafen, dass er noch lange sitzen wird.«
»Ist das erst kürzlich passiert?«
»Nein, nein. Das ist viele Jahre her. Lange vor seiner Boxkarriere.«
»Aha«, sagte ich. »Ein bisschen Cognac?«
Geir und Anders nickten. Ich öffnete die Flasche und schenkte drei Gläser ein.
»Möchte von euch auch jemand etwas?«, sagte ich und schaute zur Couch hinüber. Köpfe wurden geschüttelt.
»Ich nehme einen kleinen Schluck«, sagte Helena. Als sie zu uns kam, strömte Musik aus den lächerlich kleinen Boxen hinter ihr. Es war Damon Albarns Mali-Platte, die auch früher am Abend schon einmal gelaufen war und sie völlig begeistert hatte.
»Hier«, sagte ich und reichte ihr ein Glas, dessen Boden knapp von dem gelbbraunen Alkohol bedeckt war. Das Licht der Lampe, die über dem Tisch hing, brachte ihn zum Glühen.
»Aber über eins bin ich wirklich froh«, sagte Christina auf der Couch. »Erwachsen zu sein. Es ist unglaublich, wie viel besser es ist, zweiunddreißig zu sein als zweiundzwanzig.«
»Du weißt schon, dass du einen Teddy auf dem Schoß hast, Christina?«, sagte ich. »Das nimmt deinen Worten irgendwie die Spitze.«
Sie lachte. Es war herrlich, sie lachen zu sehen. Sie hatte etwas Verbissenes, nicht im negativen Sinne, es war eher, als benötigte sie all ihre Kräfte, um alles, auch sich selbst, zusammenzuhalten. Sie war groß und schlank, natürlich immer und auf eine eigenwillige Art gut gekleidet, und mit ihrer blassen Haut und ihren Sommersprossen schön, aber wenn der erste Eindruck vorüber war, trat dieses leicht Verschlossene
Weitere Kostenlose Bücher