Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
Vom Netzwerk:
wahren Natur, die bei beiden, soweit ich das beurteilen kann, grundsätzlich freundlich und freigiebig ist. Das mitmenschliche Unbehagen, das ich erwecken konnte, war eine Folge des genauen Gegenteils. Ich ließ ausnahmslos die Situation entscheiden, entweder, indem ich gar nichts sagte oder indem ich allen nach dem Mund redete. Zu sagen, was andere hören wollen, ist ja letztlich auch nur eine andere Art zu lügen. Deshalb bestand zwischen meiner und Anders’ Praxis im Umgang mit anderen Menschen nur ein gradueller Unterschied. Obwohl seine am Vertrauen und meine an der Integrität zehrte, kam bei beidem letztlich das Gleiche heraus: eine langsame Aushöhlung der Seele.
    Dass Helena, die sich für die spirituellen Seiten des Lebens interessierte und kontinuierlich versuchte, sich selbst zu erkennen, bei einem Mann landete, der alle anderen Werte als die des Geldes mit einem Lächeln auf den Lippen vom Tisch fegte, war natürlich eine Ironie des Schicksals, aber nicht unverständlich,
denn das Wichtigste hatten sie gemeinsam, ihre Leichtigkeit und Freude am Leben. Außerdem waren sie ein schönes Paar. Mit ihren dunklen Haaren, warmherzigen Augen und den großen, markanten Gesichtszügen war Helena eine Frau, die auffiel, und hatte ein einnehmendes Wesen, eine spürbare Präsenz. Sie war eine talentierte Schauspielerin. Ich hatte sie in zwei Fernsehserien gesehen, in der einen, einer Krimiserie, spielte sie eine Witwe, und die Düsternis, die sie ausstrahlte, machte sie mir vollkommen fremd, es war, als hätte ich einen anderen Menschen mit Helenas Gesichtszügen vor mir. In der zweiten, einer Komödie, spielte sie ein richtiges Miststück und erweckte den gleichen Eindruck, hier war ein anderer Mensch mit ihren Zügen.
    Auch Anders sah auf jungenhafte Art gut aus, ob es nun an seiner Ausstrahlung lag, seinem Schalk, dem schmächtigen Körper oder vielleicht auch den Haaren, die man in den fünfziger Jahren wohl als »Künstlermähne« bezeichnet hätte, war schwer zu sagen, denn er war nicht leicht zu sehen, dieser Anders. Ich war ihm einmal zufällig auf dem Sergels torg im Stadtzentrum begegnet, er ging an einer Wand hin und her, mit hängenden Schultern und sehr, sehr abgekämpft, so dass ich ihn kaum wiedererkannte, aber als er mich sah, richtete er sich auf, packte sich gleichsam selbst am Schopf und verwandelte sich im Laufe eines Augenblicks in diesen energischen, fröhlichen Mann, den ich normalerweise in ihm sah.
     
    Als wir wieder hereinkamen, hatten Helena, Christina und Linda den Tisch abgeräumt und saßen inzwischen auf der Couch und unterhielten sich. Ich ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Während ich darauf wartete, dass er fertig war, ging ich ins Nebenzimmer, das, mit Ausnahme der Atemzüge von Helena und Anders’ Kind, das angezogen und unter einer kleinen Decke in unserem Bett schlief, vollkommen still und
leer war. Im Halbdunkel wirkten die leere Wiege, das leere Gitterbettchen, der Wickeltisch und die Kommode mit Säuglingskleidung daneben fast ein wenig unheimlich. Alles stand für unser Kind bereit. Wir hatten sogar einen Stapel Windeln gekauft, er lag zusammen mit einem Stapel Handtücher und Waschlappen in dem Regal unter dem Wickeltisch, und darüber hing ein Mobile mit kleinen Flugzeugen und zitterte leicht in der Zugluft vor dem Fenster. Unheimlich, weil es kein Kind gab, und die Grenze zwischen dem, was hätte sein können, und dem, was kommen würde, in diesen Gegenständen so fließend war.
    Aus dem Wohnzimmer drang Lachen zu mir herein. Ich schloss die Tür hinter mir, stellte eine Flasche Cognac, Cognacschwenker, Kaffeetassen und Untersetzer auf ein Tablett, goss den Kaffee aus dem Glaskolben in eine Thermoskanne und trug alles ins Wohnzimmer. Christina saß mit einem Teddy auf dem Schoß auf der Couch und wirkte glücklich, ihr Gesicht war offener und ruhiger als sonst, während Linda, die neben ihr saß, kaum noch die Augen offen halten konnte. Gegenwärtig ging sie sonst immer gegen neun Uhr ins Bett. Jetzt war es fast zwölf. Helena suchte unter den CDs im Regal nach Musik, während Anders und Geir am Tisch saßen und ihr Gespräch über gemeinsame kriminelle Bekannte fortsetzten. Eine ganze Menagerie von Verbrechern hatte sich in den Jahren, die er im Boxclub verkehrt hatte, dort herumgetrieben. Ich stellte alles auf den Tisch und setzte mich.
    »Osman bist du doch begegnet, Karl Ove?«, fragte Geir.
    Ich nickte.
    Geir hatte mich einmal nach Mosebacke mitgenommen, um

Weitere Kostenlose Bücher