Lieben: Roman (German Edition)
sie ungefähr einmal in der Stunde an, aber nein, nichts Neues. Wir sprachen über nichts anderes mehr. Dann, eine Woche nach dem Termin, Ende Januar, beim Fernsehen, platzte die Fruchtblase. Ich hatte mir dies immer als etwas Brachiales vorgestellt, als einen brechenden Damm, aber so war es nicht, im Gegenteil, es kam so wenig Wasser, dass Linda sich nicht einmal sicher war, ob es überhaupt passiert war. Sie rief im Krankenhaus an, wo man skeptisch reagierte, normalerweise gab es keinerlei Zweifel, wenn die Fruchtblase platzte, aber schließlich meinten sie, wir sollten dennoch vorbeikommen. Wir nahmen die Tasche mit, setzten uns in ein Taxi und fuhren zum Krankenhaus, das ebenso hell erleuchtet und von Schneebergen umgeben war wie beim letzten Mal. Linda wurde untersucht, ich schaute aus dem Fenster, auf die Autobahn und die vorbeirauschenden Wagen und den orangenen Himmel über ihnen. Ein leiser Ausruf Lindas ließ mich den Kopf drehen. Das restliche Fruchtwasser ging ab.
Da nichts anderes passiert war und vorläufig keine Wehen eingesetzt hatten, wurden wir wieder nach Hause geschickt. Falls sich die Situation nicht verändern sollte, würde die Geburt zwei Tage später über einen Tropf eingeleitet werden. So hatten wir jedenfalls einen Zeitpunkt vor Augen. Linda war zu angespannt, um nach unserer Heimkehr besonders viel zu schlafen, ich schlief wie ein Stein. Am nächsten Tag sahen wir zwei Filme, gingen lange im Humlegården spazieren, machten Bilder von uns, die Kamera am Ende meines ausgestreckten Arms, unsere glühenden Gesichter dicht nebeneinander, der Park im Hintergrund schneeweiß. Wir erwärmten eines
der vielen Gerichte, die Lindas Mutter für die ersten Wochen in unserem Kühlschrank gelagert hatte, und als wir gegessen hatten und ich Kaffee aufsetzte, hörte ich plötzlich ein langgezogenes Stöhnen aus dem Wohnzimmer. Ich eilte hin. Linda stand vorgebeugt, beide Hände um den Bauch gelegt. Ohhh, sagte sie. Aber das Gesicht, das sie mir zuwandte, lächelte.
Sie richtete sich langsam wieder auf.
»Es geht los«, sagte sie. »Kannst du bitte die Uhrzeit aufschreiben, damit wir wissen, wie groß der Abstand zwischen den Wehen ist?«
»Hat es wehgetan?«, sagte ich.
»Ein bisschen«, antwortete sie. »Halb so wild.«
Ich ging den Notizblock und einen Stift holen. Es war kurz nach fünf. Die nächsten Wehen kamen genau dreiundzwanzig Minuten später. Dann verging über eine halbe Stunde bis zu den nächsten. So ging es den ganzen Abend weiter, die zeitlichen Abstände zwischen den Wehen wechselten, während der Schmerz stärker wurde. Als wir gegen elf ins Bett gingen, schrie sie manchmal auf, wenn sie kamen. Ich lag neben ihr im Bett und versuchte, ihr zu helfen, wusste aber nicht wie. Sie hatte von der Hebamme ein so genanntes TENS-Gerät bekommen, das den Schmerz lindern sollte und aus stromleitenden Platten bestand, die man dort auf die Haut setzen konnte, wo es wehtat. Sie waren mit einem Apparat verbunden, an dem man die Stärke regulieren konnte, und wir beschäftigten uns eine Weile damit, es war ein Chaos aus Leitungen und Knöpfen, das ich zu entwirren suchte, aber sie bekam bloß einen Stromschlag und brüllte wütend und unter Schmerzen, dreh das Scheißding ab! Nein, nein, sagte ich, ich versuche es noch einmal, so, ich glaube, jetzt ist es richtig. Oh, verdammt!, schrie sie. Kapierst du nicht, ich bekomme hier Schläge. Nimm das weg! Ich legte das Gerät weg und versuchte, sie stattdessen zu massieren, rieb sie mit dem Öl
ein, das ich zu diesem Zweck gekauft hatte, aber das funktionierte nicht richtig, denn entweder war ich zu hoch oder zu tief oder massierte zu schwach oder zu stark. Zu den Dingen, auf die sie sich bei der Entbindung gefreut hatte, gehörte die große Badewanne, die sie auf der Station hatten und die mit heißem Wasser gefüllt nicht zuletzt die Schmerzen lindern sollte, bevor die Geburt wirklich losging, aber da die Fruchtblase geplatzt war, konnte sie diese nicht mehr nutzen, genauso wenig wie unsere Badewanne daheim. Stattdessen setzte sie sich hinein und duschte sich mit kochend heißem Wasser ab, wobei sie jedes Mal stöhnte und jammerte, wenn eine neue Welle des Schmerzes sie durchlief. Ich stand dabei, vor Müdigkeit grau im grellen Licht, sah sie dort sitzen und hatte keine Chance, zu dem Ort vorzudringen, an dem sie war, geschweige denn, ihr zu helfen. Erst im Morgengrauen schliefen wir ein, und zwei Stunden später beschlossen wir, ins Krankenhaus zu
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