Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
Vom Netzwerk:
fahren, obwohl es noch sechs Stunden waren bis zu dem Zeitpunkt, den man uns genannt hatte, und obwohl sie uns ausdrücklich ermahnt hatten, dass sich die Abstände zwischen den Wehen auf drei bis vier Minuten reduziert haben mussten, damit wir deshalb hinfahren konnten. Lindas Wehen kamen etwa alle fünfzehn Minuten, aber sie hatte solche Schmerzen, dass es mir zwecklos erschien, sie daran zu erinnern. Ein weiteres Taxi, diesmal im grauen Vormittagslicht, eine weitere Fahrt auf der Autobahn Richtung Danderyd. Als Linda untersucht wurde, meinten sie, der Muttermund sei nur drei Zentimeter geöffnet, was nicht sehr viel war, wie ich überrascht erkannte, denn nach dem, was Linda durchgemacht hatte, war ich davon ausgegangen, dass es bald vorbei sein müsste. Aber nein, das Gegenteil war der Fall, eigentlich sollten wir besser wieder nach Hause fahren, sagten sie, aber zufällig sei ein Zimmer frei, und da wir wahrscheinlich so müde und erschöpft aussahen, durften wir bleiben.
Schlaft ein bisschen, sagten sie und schlossen die Tür hinter uns.
    »Jetzt sind wir jedenfalls endlich hier«, sagte ich und stellte die Tasche auf dem Boden ab. »Hast du Hunger?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich könnte mir eine Dusche vorstellen. Kommst du mit?«
    Ich nickte.
    Als wir unter der Duschen standen und uns umarmten, setzten neue Wehen ein, sie beugte sich vor und hielt sich an einem Griff an der Wand fest, während ihr erneut das Geräusch entfuhr, das ich am Vorabend zum ersten Mal gehört hatte. Ich strich ihr über den Rücken, aber das kam mir eher wie eine Verhöhnung als ein Trost vor. Sie richtete sich auf, und ich begegnete ihrem Blick im Spiegel. Unsere Gesichter waren absolut blank, vollkommen leer sahen sie aus, und ich dachte: Bei dieser Sache sind wir wirklich ganz allein.
    Wir gingen ins Zimmer, Linda zog den Kittel an, den man ihr gegeben hatte, ich legte mich auf die Couch. Im nächsten Moment schlief ich tief und fest.
     
    Ein paar Stunden später betrat eine kleine Delegation das Zimmer, und die Geburt wurde eingeleitet. Linda wollte keine schmerzstillenden Mittel haben und bekam stattdessen Spritzen mit sterilem Wasser, will sagen, es wurde ihr nach dem Prinzip, Schmerz mit Schmerz zu bekämpfen, steriles Wasser unter die Haut gespritzt. Sie stand mitten im Zimmer und hielt meine Hand, als die beiden Schwestern das Wasser spritzten. Sie schrie auf und rief aus vollem Hals SCHEISSE!, während sie instinktiv versuchte, sich wegzudrehen, und die beiden Schwestern sie routiniert festhielten. Als ich sah, welche Schmerzen sie hatte, traten mir Tränen in die Augen. Gleichzeitig ahnte ich, dass dies noch gar nichts war, dass ihr das Schlimmste noch bevorstand. Und wie sollte das angesichts
einer so niedrigen Schmerzschwelle, wie Linda sie offenbar hatte, weitergehen?
    Sie saß in ihrem weißen Krankenhauskittel im Bett, während man ihr eine Kanüle für den Tropf in den Arm stach, der fortan durch einen dünnen Plastikschlauch mit einem durchsichtigen Beutel an einem Metallständer verbunden war. Wegen des Tropfs wollten sie den Fötus möglichst gut überwachen, erklärten sie und befestigten eine Art kleine Elektrode an seinem Köpfchen, von der eine Leitung aus Linda heraus, über das Bett und zu einem Apparat an der Seite führte, wo im nächsten Moment eine Zahl aufblinkte. Es war die Pulsfrequenz des Fötus. Damit nicht genug, wurde Linda eine Lederschlaufe umgebunden, an der einige Sensoren saßen, die über ein weiteres Kabel mit einem anderen Monitor verbunden waren. Auch auf diesem blinkte eine Zahl, und ein elektronischer Strich bewegte sich wellenförmig darüber, der jäh ausschlug, sobald die Wehen einsetzten. Aus dieser Maschine lief darüber hinaus ein Papierstreifen, auf dem derselbe Graph aufgezeichnet wurde.
    Es kam mir vor, als wollten sie Linda zum Mond schießen.
    Als die Sonde in den Kopf des Fötus gestochen wurde, schrie Linda auf, und die Hebamme tätschelte ihre Wange. Warum behandeln die Linda wie ein Kind, dachte ich, beschäftigungslos dabeistehend und alles, was auf einmal um mich herum geschah, wie von weitem registrierend. Lag es an dem Brief, den sie ihnen geschickt hatte und der nun wahrscheinlich im Schwesternzimmer lag, denn in diesem hatte sie geschrieben, sie brauche viel Unterstützung und Ermunterung, sei aber im Grunde stark und freue sich darauf, was geschehen würde.
    Linda begegnete durch das Wirrwarr von Händen hindurch meinem Blick und lächelte. Ich lächelte

Weitere Kostenlose Bücher