Lieben: Roman (German Edition)
hinab.
»Gehen Sie bitte in diesen Raum dort«, sagte sie. »Er ist frei. Es kommt gleich jemand und hilft Ihnen.«
Das Zimmer war so fremdartig, dass das Einzige, was ich darin sah, wir zwei waren. Jede kleinste Bewegung Lindas bohrte sich in mich hinein.
Sie zog ihre Jacke aus, hängte sie über einen Stuhlrücken und setzte sich auf eine Couch. Ich stellte mich ans Fenster, schaute auf die Straße und den Strom der vorbeifahrenden Autos. Vor dem Fenster fielen Schneeflocken als kleine, undeutliche Schatten und wurden erst sichtbar, sobald sie in den Lichtkreis der Laternen auf dem Parkplatz gerieten.
An einer Wand stand ein gynäkologischer Behandlungsstuhl. Neben diesem diverse Instrumente wie in einem Hi-Fi-Turm übereinandergestapelt. Auf der anderen Seite stand auf einem Regal ein CD-Player.
»Hörst du?«, sagte Linda.
Ein leises, gedämpftes Jaulen drang von der anderen Seite der Wand zu uns herüber.
Ich drehte mich um und sah sie an.
»Wein nicht, Karl Ove«, sagte sie.
»Ich weiß nicht, was ich sonst tun kann«, sagte ich.
»Das wird schon«, sagte sie.
»Willst du jetzt mich trösten?«, sagte ich. »Wie soll das denn gehen?«
Sie lächelte.
Dann wurde es wieder still.
Ein paar Minuten später klopfte es an die Tür, eine Krankenschwester trat ein, bat Linda, sich auf die Pritsche zu legen, entblößte den Bauch, hörte ihn mit einem Stethoskop ab und lächelte.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte sie, »aber wir machen sicherheitshalber noch eine Ultraschalluntersuchung.«
Als wir eine halbe Stunde später das Krankenhaus verließen, war Linda erleichtert und froh. Ich war völlig erschöpft, außerdem war es mir ein wenig peinlich, dass wir ihnen unnötig zur Last gefallen waren. Dem regen Verkehr zu den Türen hinein und heraus nach zu urteilen, hatten sie auch so schon mehr als genug zu tun gehabt.
Warum mussten wir immer gleich glauben, dass das Schlimmste passiert war?
Andererseits, dachte ich, als ich neben Linda im Bett lag, eine Hand auf ihrem Bauch, in dem das Kind mittlerweile so groß war, dass es kaum noch Platz hatte, sich zu rühren, hätte tatsächlich auch das Schlimmste passiert sein können, das Leben hätte in ihrem Bauch aufgehört haben können, denn das kommt vor, und solange diese Möglichkeit bestand, so klein sie auch sein mochte, war es dann nicht das einzig Richtige,
die Sache ernst zu nehmen und sich nicht davon abschrecken zu lassen, dass einem die Situation peinlich war? Dass man andere Menschen nur ungern behelligen wollte?
Am nächsten Tag ging ich wieder in mein Büro und schrieb weiter an der Geschichte von Hesekiel, mit der ich begonnen hatte, um das Material über Engel irgendwie zu einer Erzählung zu formen, die Thure Erik so treffend gefordert hatte, und nicht nur zu einem essayistischen Überblick über Engel als Phänomen. Hesekiels Visionen waren so grandios und rätselhaft, und die Botschaft des Herrn an ihn, dass er die Buchrolle verspeisen möge, um auf die Art die Worte Fleisch und Blut werden zu lassen, vollkommen unwiderstehlich. Gleichzeitig wurde Hesekiel selbst in der Schrift sichtbar und war umgeben von ärmlichem Alltagsleben und allem, was dies an Zweifeln und Skepsis und jähen Umschwüngen zwischen dem Inneren der Visionen, wo Engel brennen und Menschen niedergemetzelt werden, und dem Äußeren der Visionen, wo Hesekiel mit einem Backstein dasteht, der Jerusalem darstellen soll, und Gestalten zeichnet, die Heere, Bollwerke und Wälle sein sollen, alles auf Befehl des Herrn, vor seinem Haus, vor den Augen aller Männer der Stadt. Die Konkretion der Auferstehung: »Ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort! So spricht der Herr von diesen Gebeinen: Siehe, ich will einen Odem in euch bringen, dass ihr sollt lebendig werden. Ich will euch Adern geben und Fleisch lassen über euch wachsen und euch mit Haut überziehen.« Und dann, als es vollbracht ist: »Sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füße. Und ihrer war ein sehr großes Heer.«
Das Heer der Toten.
Dies beschäftigte mich, das versuchte ich zu gestalten, ohne dass es mir gelingen wollte, es gab so wenig Requisiten, Sandalen, Kamele und Sand waren im Großen und Ganzen alles, vielleicht noch der eine oder andere kärgliche Strauch,
und mein Wissen über diese Kultur tendierte gen Null, während Linda zu Hause wartete und in einer ganz anderen Weise von dem Bevorstehenden besetzt war. Der ausgerechnete Geburtstermin kam, es passierte nichts, ich rief
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