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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Anhöhe am anderen Ende der Straße lag die Konzerthalle Circus. Dort war ich einmal mit Anders in dem dazugehörigen Restaurant gewesen, weil wir auf der Suche nach einem Lokal waren, das Spiele der Premier League zeigte. In dem Fernsehapparat am hinteren Ende des Lokals lief das Spiel, das wir sehen wollten. Außer uns war nur ein Mensch anwesend. Das Licht war schummrig, die Wände dunkel, trotzdem trug er eine Sonnenbrille. Es war der Sänger Tommy Körberg. An dem Tag war sein Gesicht auf der Titelseite aller Zeitungen gewesen, weil er betrunken Auto gefahren und
erwischt worden war, und man konnte in Stockholm kaum einen Meter gehen, ohne davon zu erfahren. Nun saß er also hier und versteckte sich. Genauso unangenehm wie die offenen Blicke für ihn waren, mussten die sorgsam vermiedenen sein, denn kurz nachdem wir gekommen waren, ging er, obwohl keiner von uns auch nur ein einziges Mal in seine Richtung geschaut hatte.
    Gegen das, was er durchzumachen schien, verblassten selbst meine schlimmsten Angstattacken nach Zechtouren.
    In meiner Tasche klingelte das Handy. Ich zog es heraus und blickte aufs Display. Yngves Handy.
    »Hallo?«, sagte ich.
    »Hallo«, sagte er. »Wie geht’s?«
    »Gut. Und dir?«
    »Ach, gut.«
    »Schön. Sag mal, wir wollen hier gerade in ein Café gehen. Kann ich dich später anrufen? Heute Nachmittag irgendwann? Oder ist etwas Besonderes?«
    »Nein. Nichts. Tu das, dann reden wir später.«
    »Tschüss.«
    »Tschüss.«
    Ich steckte das Handy in die Tasche zurück.
    »Das war Yngve«, sagte ich.
    »Geht es ihm gut?«, sagte Linda.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Ich weiß es nicht. Aber ich rufe ihn später noch einmal an.« Zwei Wochen nach seinem vierzigsten Geburtstag hatte Yngve Kari Anne verlassen und war alleine in ein Haus gezogen. Das Ganze war schnell gegangen. Erst bei seinem letzten Besuch bei uns hatte er erzählt, was er plante. Yngve sprach nur selten über solche Dinge, er behielt fast alles für sich, es sei denn, ich sprach ihn direkt auf etwas an. Aber das ergab sich nicht immer. Dass er seit langem ein Leben führte, wie er
es eigentlich nicht führen wollte, begriff ich allerdings auch ohne Vertraulichkeiten seinerseits. Deshalb freute es mich für ihn, als er erzählte, dass es aus war. Gleichzeitig kam ich nicht umhin, an Vater zu denken, der meine Mutter wenige Wochen vor seinem vierzigsten Geburtstag verlassen hatte. Die Übereinstimmung im Alter, nur ein paar Wochen lagen die beiden auseinander, war weder familiär noch genetisch bedingt und die Krise rund um den vierzigsten Geburtstag kein Mythos: In letzter Zeit traf sie Menschen in meiner Nähe und traf sie hart. Manche wurden fast wahnsinnig vor verzweifelter Sehnsucht. Wonach? Nach mehr Leben. Mit vierzig war das Leben, das man momentan lebte und das stets provisorisch gewesen war, zum Leben selbst geworden, und diese Kombination schloss alle Träume aus, nivellierte alle Vorstellungen davon, dass es das wahre Leben, für das man bestimmt war, das Große, das man vollbringen würde, andernorts gab. Mit vierzig erkannte man, dass alles hier war, im Kleinen und Alltäglichen, fertig ausgeformt, und dass es für immer so bleiben würde, wenn man sich nicht noch etwas zutraute. Ein letztes Mal aufs Ganze ging.
    Yngve hatte es getan, weil er ein besseres Leben haben wollte. Vater, weil er ein radikal anderes wollte. Deshalb machte ich mir um Yngve keine Sorgen und hatte mir im Grunde auch nie welche gemacht, er würde immer wieder auf den Füßen landen.
    Vanja war im Kinderwagen eingeschlafen. Linda hielt an, legte sie hin und warf einen Blick auf die Tafel mit den Tagesgerichten, die vor dem Blå Porten auf dem Bürgersteig stand.
    »Ehrlich gesagt habe ich Hunger«, sagte sie. »Du nicht?«
    »Wir können gerne etwas essen«, sagte ich. »Die Lammfrikadellen sind hier wirklich gut.«
    Es war ein schönes Café. Ein offener Platz in der Mitte, voller Pflanzen und mit Brunnen, auf dem man während des
Sommerhalbjahres saß. Im Winter ging man in einen langgestreckten Gang mit Glaswänden. Der einzige Minuspunkt war die Klientel, die zu einem großen Teil aus kulturinteressierten Frauen zwischen fünfzig und siebzig bestand.
    Ich hielt Linda die Tür auf, sie schob den Wagen hinein, packte anschließend die Stange zwischen den Rädern und hob ihn die drei Treppenstufen hinunter. Das Lokal war etwas mehr als halb gefüllt. Für den Fall, dass Vanja aufwachte, entschieden wir uns für den Tisch, der am

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