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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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aufwallte.
    Ich legte das Besteck auf den Teller, stand auf und sah Linda an, die auch fast fertig war.
    »Ich drehe mal eine Runde mit ihr«, sagte ich. »Nur den Gang da runter. Möchtest du noch einen Kaffee oder sollen wir den woanders trinken?«
    »Von mir aus gerne woanders«, sagte sie. »Wir können aber auch bleiben.«
    Ich verdrehte die Augen und bückte mich, um Vanja herauszuheben.
    »Du darfst wegen mir nicht die Augen verdrehen«, sagte Linda.
    »Aber ich habe dir doch bloß eine simple Frage gestellt«, sagte ich. »Eine Ja-oder-Nein-Frage. Willst du das oder willst du das? Und du schaffst es nicht, mir darauf eine klare Antwort zu geben.«
    Ohne ihre Erwiderung abzuwarten, setzte ich Vanja auf den Fußboden, nahm sie an den Händen und ging mit ihr vor mir los.
    »Was willst du denn?«, sagte Linda hinter mir. Ich tat, als wäre ich zu sehr mit Vanja beschäftigt, um sie zu hören. Eher eifrig als zielstrebig setzte sie ein Bein vor das andere, bis wir zur Treppe gelangten, wo ich vorsichtig ihre Hände losließ. Für einen Moment blieb sie aufrecht stehen und schwankte leicht. Dann sank sie auf die Knie, krabbelte die drei Stufen hinauf und sauste mit Volldampf auf allen Vieren wie ein kleiner Welpe auf die Eingangstür zu. Als diese geöffnet wurde, richtete sie sich kniend auf und blickte mit großen Augen zu den Leuten hoch, die hereinkamen. Es waren zwei ältere Frauen. Die zweite von ihnen blieb stehen und sah sie lächelnd an. Vanja senkte den Blick.
    »Sie ist ein bisschen schüchtern, was?«, sagte die Frau.
    Ich lächelte höflich, hob Vanja hoch und nahm sie auf den Platz draußen mit. Sie zeigte auf ein paar Tauben, die unter einem Tisch mit ihren Schnäbeln Krümel aufpickten. Dann schaute sie hoch und zeigte auf eine Möwe, die im Wind vorbeisegelte.
    »Vögel«, sagte ich. »Und guck mal, da drinnen, hinter den Fenstern? Da sitzen die ganzen Leute.«
    Sie sah erst mich und danach die Menschen an. Ihr Blick war lebendig, ebenso ausdrucksvoll wie offen für Eindrücke. Wenn ich ihm begegnete, bekam ich immer ein Gefühl dafür, wer sie war, dieser ganz bestimmte, kleine Mensch.
    »Aber brrr, ist das kalt«, sagte ich. »Wir gehen wieder rein, nicht?«
    Von der Treppe aus sah ich, dass Cora zu unserem Tisch gekommen war. Zum Glück hatte sie sich nicht gesetzt, stand nur mit den Händen in den Taschen und einem Lächeln auf den Lippen hinter dem Stuhl.
    »Mein Gott, ist die groß geworden!«, sagte sie.
    »Ja«, sagte ich. »Wie groß ist Vanja?«
    Normalerweise war Vanja stolz, wenn sie die Frage damit beantworten konnte, die Arme über sich möglichst hoch zu strecken. Nun aber legte sie ihren Kopf lediglich müde an meine Schulter.
    »Wir wollen langsam mal nach Hause. Oder nicht?«, sagte ich und sah Linda an. »Bis man hier jetzt einen Kaffee bekommt, dauert es eine halbe Stunde.«
    Sie nickte.
    »Ja, wir wollen auch gleich los«, sagte Cora. »Aber ich habe gerade mit Linda abgemacht, dass ich in den nächsten Tagen mal vorbeikomme. Wir sehen uns also bald.«
    »Das freut mich«, sagte ich, setzte mir Vanja auf den Schoß und begann, ihr den Overall anzuziehen. Ich sah Cora an und lächelte, um nicht abweisend zu wirken.
    »Und wie ist es so, sich um das Kind zu kümmern?«, sagte sie.
    »Schrecklich«, antwortete ich. »Aber ich halte durch.«
    Sie lächelte.
    »Das meine ich ernst«, sagte ich.
    »Das habe ich schon verstanden«, sagte sie.
    »Karl Ove hält alles durch«, warf Linda ein. »Das ist seine Methode im Leben.«
    »Soll ich ihr etwa keine ehrliche Antwort geben?«, sagte ich. »Wäre es dir lieber, ich würde lügen?«
    »Nein«, antwortete Linda. »Es macht mich nur traurig, dass du es so schlimm findest.«
    »So schlimm finde ich es nun auch wieder nicht«, sagte ich.
    »Meine Mutter wartet«, sagte Cora. »Es war schön, euch zu sehen. Bis bald!«
    »Ich fand es auch schön, dich zu sehen«, sagte ich.
    Als sie ging, begegnete ich Lindas Blick.
    »Das ist doch halb so wild«, sagte ich und setzte Vanja in den Kinderwagen, schnallte sie fest und trat die Bremse vom Rad hoch.
    »Ja«, sagte Linda exakt so kurz, dass ich begriff, es bedeutete das Gegenteil. Schweigend bückte sie sich und hob den Wagen an, als wir zur Treppe kamen, schweigend ging sie neben mir aus dem Hof hinaus und auf den Weg Richtung Stadt. Man hatte das Gefühl, dass einem der Wind bis in die Knochen blies. Ringsum wimmelte es von Menschen. An den Haltestellen standen auf beiden Straßenseiten

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