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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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dicht gedrängt frierende, schwarz gekleidete Menschen, die mit einem gewissen Blick Vögeln nicht ganz unähnlich waren, jenen, die auf irgendeinem Felsen in der Antarktis dicht an dicht zusammenstehen und reglos vor sich hin stieren.
    »Es war gestern so romantisch und schön«, sagte sie schließlich, als wir am Biologischen Museum vorbeikamen und flüchtige
Blicke auf den Kanal erhaschten, der in der Ferne schwarz zwischen den Ästen schimmerte. »Und dann ist es, als wäre davon heute nichts mehr übrig.«
    »Wie du weißt, bin ich kein romantischer Mensch«, sagte ich.
    »Nein, das bist du nicht. Aber was für eine Art von Mensch bist du eigentlich?«
    Sie sah mich nicht an, als sie das sagte.
    »Hör auf«, sagte ich. »Jetzt fang nicht wieder damit an.«
    Ich begegnete Vanjas Blick und lächelte sie an. Sie lebte in ihrer eigenen Welt, die durch Gefühle und Wahrnehmungen, körperliche Berührungen und den Klang unserer Stimmen mit unserer verbunden war. Zwischen den Welten zu wechseln, wie ich es jetzt tat, indem ich im einen Augenblick sauer auf Linda war und im nächsten Vanja fröhlich anlächelte, war seltsam, und es kam mir fast so vor, als lebte ich zwei strikt getrennte Leben. Sie lebte dagegen nur eins, und schon bald würde es in das andere hineinwachsen, wenn ihre Unschuld verschwand und sie etwas damit verband, was in solchen Augenblicken zwischen Linda und mir geschah.
    Wir erreichten die Brücke über den Kanal. Vanjas Blick wanderte zwischen den vorbeigehenden Menschen hin und her. Wenn ein Hund vorbeikam oder sie ein Motorrad sah, zeigte sie jedes Mal darauf.
    »Bei dem Gedanken, dass wir vielleicht noch ein Kind bekommen werden, war ich so glücklich«, sagte Linda. »Das war ich gestern, und das war ich heute. Ich habe fast die ganze Zeit daran gedacht. Ein mulmiges Gefühl im Magen vor lauter Glück. Aber du empfindest es nicht so. Und das macht mich traurig.«
    »Du irrst dich«, sagte ich. »Ich habe mich auch gefreut.«
    »Aber jetzt freust du dich nicht mehr.«
    »Nein«, sagte ich. »Aber ist das wirklich so seltsam? Ich bin einfach nicht besonders gut gelaunt.«
    »Weil du mit Vanja zu Hause bist?«
    »Unter anderem.«
    »Wird deine Laune sich bessern, wenn du schreiben darfst?«
    »Ja.«
    »Dann wird es Zeit, dass Vanja in den Kindergarten kommt«, sagte sie.
    »Meinst du das ernst?«, sagte ich. »Sie ist doch noch so klein.«
    Es war mitten in der Rushhour der Spaziergänger, so dass wir auf der Brücke nur langsam voran kamen. Linda hielt den Wagen mit einer Hand. Obwohl ich das hasste, sagte ich nichts, es wäre zu kleinlich gewesen, vor allem jetzt, während unseres Gesprächs.
    »Ja, sie ist zu klein«, sagte Linda. »Aber es gibt eine Wartezeit von drei Monaten. Bis dahin ist sie sechzehn Monate alt. Sie ist auch dann noch zu klein, aber…«
    Als wir auf der anderen Seite herunterkamen, schwenkten wir nach links und gingen am Bootsanleger entlang.
    »Was willst du mir eigentlich sagen«, sagte ich. »Einerseits sagst du, sie soll in den Kindergarten gehen. Andererseits sagst du, dass sie zu klein ist.«
    »Ich finde, dass sie zu klein ist. Aber wenn du unbedingt arbeiten musst, dann muss sie trotzdem gehen. Ich kann ja schlecht mein Studium abbrechen.«
    »Das stand ja wohl auch nie zur Diskussion. Ich habe immer gesagt, dass ich Vanja bis zum Sommer übernehmen werde. Und dass sie dann ab dem Herbst in den Kindergarten geht. Daran hat sich nichts geändert.«
    »Aber du fühlst dich nicht wohl damit.«
    »Stimmt. Aber was soll daran so schlimm sein? Ich habe jedenfalls keine Lust, als der Buhmann dazustehen, der gegen den Willen der guten Frau sein Kind zu früh in den Kindergarten steckt, weil es ihm solchen Spaß macht.«
    Sie sah mich an.
    »Wenn du wählen dürftest, für was würdest du dich entscheiden?«
    »Wenn ich wählen darf, geht Vanja ab Montag in den Kindergarten.«
    »Obwohl du findest, dass sie zu klein ist?«
    »Ja. Aber wenn ich recht sehe, ist das nicht nur meine Entscheidung.«
    »Nein, aber ich bin einverstanden. Ich rufe Montag an und lasse sie in die Warteliste aufnehmen.«
    Wir gingen eine Weile schweigend weiter. Rechts von uns lagen die teuersten und exklusivsten Wohnungen Stockholms. Eine noblere Adresse als in diesen Straßenzügen konnte man in dieser Stadt nicht bekommen. Dementsprechend sahen die Häuser auch aus. Die Fassaden strahlten nichts aus, es drang nichts nach außen, sie glichen eher Burgen oder Festungen. Ich wusste, dass es in ihnen

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