Lieben: Roman (German Edition)
Boden lagen, und trug sie in den Mülltonnenraum im Erdgeschoss. Wegen des Wochenendes waren alle Mülleimer überfüllt. Ich öffnete die Deckel von allen und begann, die verschiedenen Müllarten in den richtigen Behälter zu werfen: Pappe da, Buntglas da, weißes Glas da, Plastik da, Metall da, der Rest da. Wie üblich konnte ich feststellen, dass in unserem Haus einiges getrunken wurde; ein ansehnlicher Teil des Papp-Abfalls bestand aus Weinkartons, und fast das ganze Glas waren Wein- und Schnapsflaschen. Darüber hinaus lagen dort immer dicke Stapel von Illustrierten, sowohl die billigen, die mit den Zeitungen kamen, als auch dickere, aufwändigere Spezialmagazine. In diesem Haus informierte man sich insbesondere über Mode, Hauseinrichtung und Landsitze. An der Ecke der Stirnwand war ein Loch, provisorisch vernagelt, das jemand eines Nachts aufgesägt hatte, um in den benachbarten Friseursalon zu gelangen. Ich hätte die Täter fast auf frischer Tat ertappt; an einem der Morgen, an denen ich um fünf aufstand, war ich mit einer Tasse Kaffee in der Hand hinausgegangen und hatte das Schrillen der Alarmanlage in dem Salon gehört, sobald ich in den Hausflur hinauskam. Unten stand eine Frau von einer Wach- und Schließgesellschaft mit einem Telefon am Ohr. Als ich auftauchte, beendete sie das Telefonat und fragte mich, ob ich hier wohnen würde. Ich nickte. Sie sagte, es sei gerade in den Friseursalon eingebrochen worden, die Polizei sei unterwegs. Ich begleitete sie in den Fahrradkeller, dessen Tür jemand aufgebrochen hatte, und betrachtete das halbmetergroße Loch in der Gipswand am hinteren Ende des Raums. Mir lagen ein paar Witze über eitle Diebe auf der Zunge, aber ich schluckte sie hinunter, denn sie war Schwedin und würde entweder nicht verstehen,
was ich sagte, oder nicht, was daran lustig sein sollte. Eine der Folgen davon, in Schweden zu leben, überlegte ich nun, als ich alle Deckel wieder zuknallte und die Tür aufschloss, um im Freien eine zu rauchen, bestand eindeutig darin, dass ich weniger redete. Alltägliche Konversation, was man so zu Verkäuferinnen in Geschäften und Cafés, Schaffnern in Zügen, Menschen, denen man zufällig begegnet, sagt, machte ich praktisch nicht mehr. Gerade das gehörte zum Besten, wenn ich nach Norwegen zurückkam, wie der vertrauliche Umgang mit mir unbekannten Menschen zurückkehrte und sich meine Schultern senkten. Und darüber hinaus all das Wissen, das man über seine Landsleute hatte und das mich fast übermannte, wenn ich in die Ankunftshalle des Osloer Flughafens kam: Er da kommt aus Bergen, sie aus Trondheim, der dort kommt aus Arendal, und sie, stammt sie nicht aus Birkeland? Für die Nuancen im sozialen Bild galt das Gleiche. Welchen Beruf die Leute ausübten, welche Herkunft sie hatten: Alles wurde im Laufe von Sekunden klar, während es mir in Schweden verborgen blieb. Auf die Art verschwand eine ganze Welt. Wie mochte es wohl sein, in einer afrikanischen Stadt zu leben? Oder einer japanischen?
Im Freien schlug mir Wind entgegen. Der gefallene Schnee glitt dicht und sich windend über den Asphalt und wurde hier und da zu Schleiern hochgerissen, als wäre ich auf eine Hochgebirgsebene hinausgetreten und nicht auf einen Hinterhof in einer Stadt an der Ostsee. Ich stellte mich unter das Vordach vor dem Hauseingang, wohin die stechenden Schneekörner nur sporadisch, bei besonders heftigen Böen vorstießen. Die Taube hockte regungslos an ihrem Platz in der Ecke und blieb völlig unbeeindruckt von mir und meinen Bewegungen. Ich sah, dass das Café auf der anderen Straßenseite größtenteils mit jungen Leuten bis auf den letzten Platz gefüllt war. Der eine oder andere Fußgänger lief, sich gegen
den Wind stemmend, auf dem Bürgersteig vorbei. Alle wandten mir den Kopf zu.
Der Einbruch, dessen Zeuge ich fast geworden wäre, war nicht der einzige gewesen. Da das Haus mitten in der Stadt lag, wurde es gelegentlich von Pennern benutzt. Eines Morgens war ich in der Waschküche auf einen gestoßen, der schlafend am hinteren Ende des Raums, neben einer der Waschmaschinen lag, deren Wärme er vielleicht gesucht hatte wie eine Katze. Ich hatte mit der Tür geklappert, war hochgegangen und hatte ein paar Minuten gewartet. Als ich zurückkam, war er verschwunden. Auch im Keller war ich einmal auf einen Penner gestoßen, eines Abends gegen zehn, ich wollte etwas aus unserem Kellerverschlag holen, und da saß er, an der Wand, bärtig und mit stechenden Augen, und sah
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