Lieben: Roman (German Edition)
Motorrad gefahren war, Motorrad des Todes nannte sie es, und natürlich hatte er angefangen zu trinken. Er hatte ein selbstzerstörerisches Leben geführt und sich umgebracht, als Cora noch ein Kind gewesen war. Wegen ihm standen ihr Tränen in den Augen, um ihn trauerte sie.
Also ein Glück, dass sie eine so starke, bestimmende und strenge Mutter hatte?
Na ja, nicht unbedingt… Ich hatte den Eindruck, dass sie Coras Leben mit einer gewissen Missbilligung betrachtete und Cora sich das mehr zu Herzen nahm, als sie sollte. Ihre
Mutter war Buchhalterin, und es war verständlich, dass Coras Irrfahrten durch die diffuse Landschaft des Kulturlebens nicht ihren Erwartungen davon entsprachen, wie ein passendes Leben für ihre Tochter aussehen könnte. Cora hatte als Journalistin für diverse Frauenillustrierten gearbeitet, ohne dass dies nennenswert auf ihr Selbstbild abgefärbt hätte, stattdessen schrieb sie Gedichte, sie war Dichterin. Sie hatte Biskops-Arnö besucht, denselben Schreibkurs belegt wie Linda und schrieb gute Gedichte, soweit ich das beurteilen konnte, ein Mal hatte ich sie lesen hören, und sie hatte mich überrascht. Ihre Gedichte waren weder sprachmaterialistisch wie die der meisten anderen jungen schwedischen Lyriker, noch zart und sensibel wie die der übrigen, sondern etwas Drittes, offensiv und auf eine unpersönliche Art suchend und in einer expansiven Sprache verfasst, die man nur schwer mit ihrer Person in Einklang bringen konnte. Veröffentlicht wurden ihre Texte allerdings nicht. Schwedische Verlage waren um einiges konjunkturabhängiger als norwegische und deutlich vorsichtiger, so dass man nur eine Chance hatte, wenn man sich perfekt in das literarische Umfeld einfügte. Wenn sie durchhielt und hart arbeitete, würde sie es am Ende schaffen, denn das erforderliche Talent besaß sie, aber wenn man sie sah, war Durchhaltewille nicht unbedingt das Erste, was einem ins Auge sprang. Sie verfiel leicht in Selbstmitleid, redete leise, oft über deprimierende Dinge, konnte aber auch von einer Sekunde auf die andere lebhaft und interessant sein. Wenn sie trank, war sie die einzige unter Lindas Freundinnen, die zuweilen allen Raum für sich beanspruchte und aus der Rolle fiel. War sie mir deshalb so sympathisch?
Die langen Haare hingen zu beiden Seiten ihres Gesichts herab. Die Augen hinter der kleinen Brille hatten etwas hundehaft Trauriges. Wenn sie trank, und gelegentlich auch ansonsten, äußerte sie ihre große Bewunderung für und Identifikation
mit Linda. Linda wusste dann nie recht, wie sie damit umgehen sollte.
Ich strich mit dem Arm über ihren Rücken. Der Tisch, neben dem wir standen, war voller Gebäck in allen Größen und Formen. Dunkelbraune Schokolade, hellgelbe Vanille, grünliches Marzipan, weiße und rosa Baisers. Auf jeder Platte stand ein kleiner Wimpel mit dem Namen der jeweiligen Sorte.
»Was nimmst du?«, sagte ich.
»Ich weiß nicht recht … vielleicht einen Geflügelsalat? Und du?«
»Die Lammfrikadellen. Da weiß ich jedenfalls, was ich habe. Aber ich kann für dich bestellen. Setz dich ruhig schon einmal hin.«
Das tat sie. Ich bestellte, bezahlte, füllte zwei Gläser mit Wasser, schnitt ein paar Scheiben von den Broten, die am Ende des riesigen Gebäcktisches lagen, nahm mir Besteck, zwei kleine Butterportionspäckchen und einige Servietten, legte alles auf ein Tablett und stellte mich neben die Theke, um auf das Essen zu warten, das aus der Küche gebracht werden sollte, deren oberen Teil ich über die Schwenktür hinweg einsehen konnte. Draußen auf dem atriumartigen Platz standen Tische und Stühle verwaist zwischen den vielen grünen Pflanzen, die der graue Betonboden und der graue Himmel so schön machten. Gerade die Kombination dieser Farben, grau und grün, entwickelte einen Sog. Kein Maler hatte dies besser auszunutzen gewusst als Braque. Ich entsann mich der Drucke
– die ich in Barcelona gesehen hatte, als ich mit Tonje dort war – von einigen Booten auf einem Strand unter einem gewaltigen Himmel, ihre nahezu schockierende Schönheit. Sie hatten über tausend Kronen gekostet, und das war zu viel, hatte ich gedacht. Als ich es mir dann anders überlegt hatte, war es zu spät, denn am nächsten Tag, einem Samstag und unserem letzten in der Stadt, rüttelte ich vergeblich an der Tür zur Galerie.
Grau und grün.
Aber auch grau und gelb, wie in David Hockneys fantastischem Gemälde von einigen Zitronen auf einem Teller. Die Farbe vom Motiv zu lösen,
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