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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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mit den Stiefeln mehrmals auf der Eingangstreppe auftrat, verstummten ihre Stimmen. Linda nahm Vanja, ich schob den Kinderwagen in die Garage neben dem Haus, die Vidar im Frühjahr und Sommer gebaut hatte. Als ich zurückkam, stand er im Flur und war dabei, sich seinen Overall anzuziehen.
    »Na?«, sagte er. »Seid ihr weit gegangen?«
    »Nein«, antwortete ich. »Nur ein Stückchen. Es ist wirklich ungemütlich draußen!«
    »Ja, das ist es«, sagte er und trat in die hohen braunen Gummistiefel. »Ich will nur ein paar Sachen reparieren.«
    Er schob sich an mir vorbei und ging langsam den Anstieg zum Werkzeugschuppen hinauf. In der Küche, die einen halben Meter von der Stelle begann, an der ich Mantel und Schuhe auszog, hatte Ingrid Vanja in einem Kinderstühlchen vor die Arbeitsfläche gesetzt, an der sie dabei war, Kartoffeln zu schälen. Ich legte Mütze und Handschuhe auf die Hutablage und trat die Stiefel am Türrahmen von den Füßen, sie stellte eine Schale mit Wasser und ein paar Messlöffel aus Plastik vor Vanja. Ich wusste aus Erfahrung, dass sie damit lange beschäftigt sein würde, hängte den Mantel auf einen Kleiderbügel, drückte ihn zwischen die vielen anderen Jacken und Mäntel, die dort bereits hingen, und ging an ihnen vorbei.
    Ingrid wirkte aufgebracht, aber ihre Bewegungen waren ruhig und überlegt, die Stimme, mit der sie zu Vanja sprach, war sanft und freundlich.
    »Was gibt es denn Gutes zum Abendessen?«, sagte ich.
    »Lammkeule«, sagte sie. »Bratkartoffeln. Und Rotweinsauce.«
    »Ah, das hört sich gut an!«, sagte ich. »Lamm ist mein Leibgericht.«
    »Ich weiß«, erwiderte sie. Ihre Augen, so riesig hinter den Brillengläsern, sahen mich lächelnd an.
    Vanja klatschte den Bund Messlöffel ins Wasser.
    »Hier hast du es gut, Vanja«, sagte ich. Zerzauste ihr die Haare. Sah Ingrid an. »Hat Linda sich hingelegt?«
    Ingrid nickte. Aus dem Schlafalkoven, der von uns aus nicht einsehbar war, aber nur vier Meter entfernt lag, meldete sich im selben Moment Lindas Stimme.
    »Ich bin hier!«
    Ich ging zu ihr. Die beiden Betten standen in einem Neunziggradwinkel zueinander und nahmen fast den ganzen Platz im Zimmer ein. Sie lag auf dem hinteren, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Obwohl sie die Vorhänge nicht zugezogen hatte, war es dunkel, fast finster in dem Raum. Die dunklen, groben Holzwände schluckten das Licht.
    »Brr!«, sagte sie. »Möchtest du dich hinlegen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich wollte ein bisschen lesen. Aber schlaf du nur.«
    Ich setzte mich auf die Bettkante und strich ihr durchs Haar. An einer Wand hingen Bilder von Vidars Kindern und Enkelkindern. Die andere war voller Bücher. Ein Wecker und ein Bild von Vidars jüngster Tochter standen auf der Fensterbank. In den Schlafzimmern anderer Leute fühlte ich mich immer unwohl, ich sah immer irgendetwas, das ich nicht sehen wollte, aber hier war es anders.
    »Ich liebe dich«, sagte sie.
    Ich beugte mich zu ihr hinab und küsste sie.
    »Schlaf gut«, sagte ich, stand auf und ging ins Wohnzimmer. Suchte die Bücher heraus, die ich eingepackt hatte, konnte mich aber nicht zu Dostojewski aufraffen, sich jetzt in ihn zu vertiefen, fand ich zu anstrengend, und griff stattdessen nach einer Biografie über Rimbaud, die ich schon lange hatte lesen wollen, und legte mich mit ihr in der Hand auf die Pritsche unter dem Fenster. Seine Verbindung zu Afrika interessierte mich. Sie und die Zeit, in der er gelebt hatte. Für seine Gedichte interessierte ich mich nur, insoweit sie etwas über seinen ungewöhnlichen und einzigartigen Charakter aussagten.
    In der Küche redete Ingrid beim Arbeiten mit Vanja. Sie konnte gut mit ihr umgehen, schaffte es, selbst die alltäglichsten Handlungen in etwas Leb- und Märchenhaftes zu verwandeln, nicht zuletzt, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse völlig zurückstellte, wenn die beiden zusammen waren. Alles drehte sich um Vanja und ihre Erlebnisse. Dies schien für sie jedoch kein Opfer zu sein, die Freude, die ihr das bereitete, wirkte tief und innig empfunden.
    Ich überlegte, dass sich keine Frau mehr von meiner Mutter unterscheiden konnte wie Ingrid. Mutter stellte ihre eigenen Bedürfnisse ebenfalls zurück, aber der Abstand zu Vanja und dem, was sie zusammen machten, war viel größer, außerdem hatte sie offensichtlich nicht dieselbe Freude daran. Als ich einmal mit den beiden auf einem Spielplatz war, hatte mich ihr abwesender Blick zu der Frage veranlasst, ob sie sich langweile, das tue

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