Lieben: Roman (German Edition)
meines Vaters, das Leben und der Tod, das Ritual, fühlte ich mich hinterher verlogen, so als tauften wir unsere Tochter unter falschen Voraussetzungen, und als das Abendmahl kam, wollte ich das wahrscheinlich entkräften, allerdings mit dem Ergebnis, dass ich noch verlogener dastand. Ich hatte nicht nur meine Tochter taufen lassen, ohne Christ zu sein, jetzt nahm ich auch noch am Abendmahl teil!
Aber das Heilige.
Fleisch und Blut.
Alles, was sich verändert und doch das Gleiche ist.
Und schließlich, aber nicht weniger wichtig, der Anblick von Jon Olav, der vorbeiging und dort vorne kniete. Er war ein heiler Mensch, ein guter Mensch, und irgendwie zog auch das mich durch den Gang und auf die Knie: Ich wollte so gerne heil sein. Ich wollte so gerne gut sein.
Auf der Kirchentreppe stellten wir uns für ein Foto auf, die Eltern, der Täufling, die Paten. In Vanjas Kleid war hier in Jølster bereits ihre Ururgroßmutter getauft worden. Einige von Großmutters Geschwistern waren anwesend, unter anderem Lindas Lieblinge Alvdis und Anfinn, alle Geschwister Mutters, einige ihrer Kinder und Enkelkinder, der eine von Vaters Brüdern war den weiten Weg gekommen, und hinzu kamen Lindas Freunde aus Stockholm, Geir und Christina, und natürlich Vidar und Ingrid.
Und während wir dort standen, kam Ingrid den Anstieg heraufgerannt. Ihre Furcht, das Haus könnte abgeschlossen sein, war nicht unbegründet gewesen, denn Mutter, die so zerstreut war, hatte tatsächlich die Tür abgeschlossen. Ingrid bekam
den Schlüssel und stürzte zurück. Als wir eine halbe Stunde später ankamen, war sie verzweifelt wegen einer Schüssel, die sie nicht finden konnte. Aber es ging, natürlich, alles gut, es war ein strahlend schöner Tag, wir hielten die Feier im Garten ab, mit Aussicht auf das Wasser, in dem sich die Berge spiegelten, und ihr Essen wurde von allen gelobt. Aber als es serviert war und Vanja von Arm zu Arm wanderte und niemanden brauchte, der auf sie achtgab, hatte Ingrid keine Aufgabe mehr, und vielleicht war es das, was sie so schwierig fand, jedenfalls ging sie auf ihr Zimmer und blieb dort, bis wir sie gegen fünf, halb sechs vermissten, als die ersten Gäste bereits gegangen waren. Linda ging sie suchen. Sie schlief und war kaum wach zu bekommen. Ich wusste, dass sie schon immer so gewesen war. Linda hatte mir erzählt, welch unglaublich tiefen Schlaf sie hatte, und dass es unmöglich war, in den ersten fünf bis zehn Minuten nach dem Aufwachen Kontakt zu ihr zu bekommen. Linda hatte die Theorie, dass dabei Schlaftabletten eine Rolle spielten. Als sie herauskam, ging sie mit fast wankenden Schritten über den Rasen, und ihr Lachen wirkte deplatziert, weil es sowohl zu laut für das war, was an ihrem Tisch vorging, als auch nicht ganz den Moment traf, den die anderen zum Lachen passend fanden. Es beunruhigte mich, sie so zu sehen, irgendetwas stimmte offensichtlich nicht. Sie war nicht richtig anwesend, gleichzeitig aber laut und exaltiert mit glänzenden Augen und rotem Gesicht. Als alle zu Bett gegangen waren, sprachen Linda und ich darüber. Es lag an den Schlaftabletten und außerdem am vielen Stress wegen des Fests, für das sie immerhin das ganze Essen zubereitet und fünfundzwanzig Gäste bedient hatte. Und daran, dass alles fremd und neu für sie war.
Das nächste Mal traf ich die beiden hier draußen, und alles Erregte und Nervöse an ihr war vollkommen verschwunden. Und Vidar in sein Routinedasein zurückgefallen.
Jetzt stand er, die Hände in die Hüften gestemmt, einen Augenblick da und betrachtete sein Werk. Das Geräusch eines näher kommenden Zugs ertönte von der einen Seite des Hügels, verschwand, kehrte einige Sekunden später von der anderen Seite lauter und satter zurück, und gleichzeitig kam Linda die Böschung hinauf.
»Essen!«, rief sie, als sie uns sah.
Am nächsten Morgen fuhr Vidar uns früh zum Bahnhof. Wir kamen kurz vor Abfahrt des Zuges an, so dass ich nicht mehr dazu kam, mir eine Fahrkarte zu kaufen. Ingrid, die uns begleitete, um an den nächsten drei Tagen auf Vanja aufzupassen, besaß eine Monatskarte, während Linda exakt so viele Abschnitte auf ihrer Streifenkarte abstempeln konnte, dass es bis Stockholm reichte. Ich setzte mich ans Fenster und zog den Stapel Zeitungen heraus, zu dessen Lektüre ich noch immer nicht gekommen war. Ingrid kümmerte sich um Vanja, Linda schaute aus dem Fenster. Erst mehrere Stationen, nachdem wir in Södertälje umgestiegen waren, kam der
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