Lieben: Roman (German Edition)
schmeicheln zu lassen und schwache Momente zu haben. Um das in einer passenden und unzweideutigen Weise zu markieren, habe ich einige Zeitungen mitgebracht. Diese gedenke ich vor dem Rednerpult auf dem Boden auszulegen, um anschließend auf sie zu scheißen. Ich habe tagelang eingehalten, um dies mit allem Nachdruck tun zu können. Oh ja. So. So ist es gut. Ah. Das hätten wir. Jetzt werde ich mir noch kurz den Hintern abwischen, dann sind wir fertig. Damit übergebe ich das Wort dem zweiten Nominierten, Stein Mehren. Vielen Dank.
Ich löschte das, ging zur Küchenzeile und füllte den Wasserkocher, stocherte ein wenig mit einem Löffel in dem Glas mit dem gefriergetrockneten Pulverkaffee, brach ein paar Klumpen heraus und streute sie in die Tasse, die ich im nächsten Moment mit kochendem Wasser füllte. Dann Mantel und Schuhe an und zu der Bank vor dem Krankenhausgebäude auf der anderen Straßenseite, wo ich in rascher Folge drei Zigaretten rauchte, während ich die vorbeikommenden Leute und Autos betrachtete. Der Himmel war trostlos grau, die Luft kalt und feucht, der Schnee am Straßenrand von den Abgasen dunkel verfärbt.
Ich zog das Handy heraus und tippte ein bisschen herum, bis ich einen Vers zusammenhatte, den ich Geir schickte.
Geir, Geir, tot musstest du von uns gehen
Nie mehr wird dein Schwanz aufrecht stehen
Aber versuch’s zu genießen
Aus dir wird sprießen
Eine Frau, die alle sehen
Dann ging ich hinein und setze mich wieder ans Notebook. Mein Widerwille, gepaart mit der Tatsache, dass mir ganze fünf Tage blieben, um fertig zu werden, machte es schwierig, ja fast unmöglich, mich zu motivieren. Denn was würde ich schon sagen? Bla bla bla, Jenseits der Welt , bla bla bla, Alles hat seine Zeit , bla bla bla, freue mich und bin stolz.
In meiner Jackentasche piepste das Handy. Ich ging es holen und öffnete Geirs Nachricht.
Bin in der Tat heute Morgen bei einem Autounfall umgekommen. Wusste nicht, dass dies schon bekannt war. Du bekommst meine Pornohefte, ich brauche sie nicht mehr, bin so steif wie nie zuvor. Nette Grabschrift, übrigens. Aber das kannst du doch besser, oder?
Aber ja , schrieb ich zurück. Wie wäre es mit dieser?
Hier ruht Geir in seinem vorzeitigen Grab
Er saß im Saab, als das Rad fiel schnöde ab
Die Augen erloschen, doch das Herz schlug, fürwahr
Das aber nahm nur leider kein Mensch wahr
Und obwohl seine Brust eingedrückt schien,
hielt man erst fälschlich für tot ihn
bis der Sarg herabgesenkt wurde und die Luft ausging
und der gute Junge endlich tot im Jenseits hing!
Besonders lustig war das im Grunde nicht, aber so verging wenigstens die Zeit. Und Geir durfte in seinem Universitätsbüro vielleicht über einen billigen Witz lachen. Als ich die SMS abgeschickt hatte, ging ich in den Supermarkt und kaufte Lebensmittel ein. Aß etwas, schlief eine Stunde auf der Couch. Las den ersten Band der Brüder Karamasow aus, fing den zweiten an, und als ich den aus hatte, war es draußen vollkommen
dunkel und das Haus voller typischer Geräusche für den frühen Abend. Ich fühlte mich wie in meiner Kindheit, als ich auch häufig stundenlang auf dem Bett gelegen und gelesen hatte, irgendwie mit kaltem Kopf, wie einem Schlaf entstiegen, einem kalten Schlaf, in dessen Nachhall mir meine Umgebung hart und unwirtlich erschien. Ich wusch mir die Hände mit heißem Wasser, frottierte sie gründlich, schaltete das Notebook aus und legte es in die Tasche, schlang den Schal um den Hals, zog die Mütze auf den Kopf, zog Jacke und Schuhe an, schloss die Tür hinter mir ab, zog die Handschuhe an und trat auf die Straße hinaus. Es war noch etwas mehr als eine halbe Stunde, bis ich Geir im Pelikan treffen sollte, so dass ich noch viel Zeit hatte.
Der Schnee auf dem Bürgersteig war gelblich braun und hatte eine feinkörnige, grießartige Konsistenz, so dass er wegrutschte, wenn man auf ihn trat. Ich ging die Rådmansgatan hinauf zur U-Bahn-Station an der Kreuzung Sveavägen. Es war halb sieben. Die Straßen ringsum waren praktisch menschenleer und von dieser entgleitenden Dunkelheit erfüllt, die es nur im Schein elektrischen Lichts gab, das hier jedem einzelnen Fenster entströmte, jeder Straßenlaterne, und auf Schnee und Asphalt, Treppen und Geländer, geparkte Autos und abgestellte Fahrräder, Fassaden, Simse, Straßenschilder, Laternenpfosten fiel. Ich hätte ebenso gut ein anderer sein können, dachte ich im Gehen, momentan gab es nichts in mir, was mir kostbar genug
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