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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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erschien, um nicht genauso gut zugunsten von etwas anderem aufgegeben werden zu können. Ich ließ die Drottninggatan hinter mir, an deren unterem Ende es von schwarzen, käferartigen Menschen wimmelte, stieg die Treppe neben dem Observatorielunden hinunter, ging das Straßenstück hinab, an dem das chinesische Restaurant mit seinem abstoßenden Schild lag, das einen zum »Schlemmen« aufforderte, und den Treppenschacht zur U-Bahn hinunter. Es waren
etwa dreißig bis vierzig Menschen auf den beiden Bahnsteigen, die meisten von ihnen waren ihren Taschen nach zu urteilen nach der Arbeit auf dem Heimweg. Ich stellte mich dorthin, wo der Abstand zu den Nächststehenden am größten war, setzte die Tasche auf dem Boden zwischen meinen Beinen ab, lehnte mich mit der Schulter an die Wand, zog das Handy heraus und rief Yngve an.
    »Hallo?«, sagte er.
    »Hallo, ich bin’s, Karl Ove«, sagte ich.
    »Habe ich gesehen«, erwiderte er.
    »Du hast angerufen?«, sagte ich.
    »Stimmt, am Samstag«, sagte er.
    »Ich wollte zurückrufen, aber dann gab es ein bisschen Stress, wir hatten Gäste zum Essen, und deshalb habe ich es vergessen.«
    »Macht nichts«, meinte Yngve. »Es gab nichts Besonderes.«
    »Und, ist die Küche gekommen?«
    »Ja, ehrlich gesagt ist sie heute gekommen. Steht neben mir. Außerdem habe ich mir ein neues Auto gekauft.«
    »Nein!«
    »Musste ich doch. Einen Citroen XM, gar nicht mal so alt. Ist früher ein Leichenwagen gewesen.«
    »Machst du Witze?«
    »Nein.«
    »Du willst in einem Leichenwagen durch die Gegend fahren?«
    »Er ist natürlich umgebaut worden. Särge kann man damit nicht mehr transportieren. Das Auto sieht ganz normal aus.«
    »Trotzdem. Allein schon, dass da mal Leichen drin gewesen sind… Das ist das Übelste, was ich in letzter Zeit gehört habe.«
    Yngve schnaubte.
    »Du bist immer so empfindlich«, sagte er. »Es ist ein ganz normales Auto. Das ich mir leisten konnte.«
    »Ja, schon gut«, sagte ich.
    Es entstand eine Pause.
    »Und sonst?«, sagte ich.
    »Nichts Besonderes. Und bei dir?«
    »Nein, nichts. Gestern waren wir auf dem Land, bei Lindas Mutter.«
    »Aha.«
    »Ja.«
    »Und Vanja? Kann sie schon laufen?«
    »Nur ein paar Schritte. Aber ehrlich gesagt ist es eher Stolpern als Gehen«, sagte ich.
    Er lachte kurz am anderen Ende.
    »Und wie geht’s Torje und Ylva?«
    »Denen geht’s gut«, sagte er. »Torje hat dir übrigens einen Brief geschickt. Aus der Schule. Hast du ihn bekommen?«
    »Nein.«
    »Er wollte mir nämlich nicht sagen, was er geschrieben hat. Aber das wirst du ja sehen.«
    »Ja.«
    Am Ende des Tunnels tauchten die Scheinwerfer einer U-Bahn auf. Ein schwacher Windzug wehte über den Bahnsteig. Die Leute traten zum Rand vor.
    »Da kommt meine Bahn«, sagte ich. »Aber wir sprechen uns bald wieder.«
    Die U-Bahn bremste langsam ab. Ich griff nach meiner Tasche und trat ein paar Schritte vor, um der Tür näher zu kommen.
    »Ja, machen wir«, sagte er. »Mach’s gut.«
    »Du auch.«
    Die Türen öffneten sich, und Leute stiegen aus. Als ich die Hand mit dem Handy vom Ohr nahm, stieß von hinten jemand
gegen meinen Ellbogen, und das Telefon flog nach vorn, in die Menge vor der Tür, ohne dass ich es wirklich beobachtet hätte, da ich mich erst automatisch zu demjenigen umdrehte, der mich angestoßen hatte.
    Wo war es hingekommen?
    Ein Klappern beim Aufprall auf den Boden war nicht zu hören gewesen. Hatte es einen Fuß getroffen? Ich ging in die Hocke und meine Augen suchten den Bahnsteig vor mir ab. Das Handy war nirgendwo zu sehen. Hatte jemand es weitergetreten? Nein, das hätte ich bemerkt, dachte ich und richtete mich wieder auf, drehte den Kopf und betrachtete die Menschen, die dem Ausgang zustrebten. Es war ja wohl hoffentlich nicht in eine Tasche gefallen oder so? Da vorn ging eine Frau mit einer offenen Handtasche am Unterarm. Sollte es etwa darin gelandet sein? Nein, so etwas passierte doch nicht.
    Oder?
    Ich ging ihr nach. Konnte ich ihr vorsichtig auf die Schulter tippen und darum bitten, einen Blick in ihre Handtasche werfen zu dürfen?
    Nein, das ging natürlich nicht.
    Vom Wagen her ertönte das Signal, dass sich die Türen schließen würden. Die nächste U-Bahn kam erst in zehn Minuten, ich war schon etwas spät und das Handy ein altes Modell, überlegte ich rasch, bevor ich durch die bereits halb geschlossenen Türen hechtete. Verwirrt setzte ich mich neben eine Zwanzigjährige im Gothic-Look, während das Licht der Station durch den Wagen

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