Lieben: Roman (German Edition)
Wolldecke auf dem Schoß auf die Couch gesetzt hatte, sah mich fragend an.
»Worum ging es?«, sagte sie. »Wer ruft denn so spät noch an?«
Sie lachte, als ich ihr erzählte, was passiert war. Nicht so sehr über den eigentlichen Vorfall, sondern vielmehr über das Misstrauen, mit dem man der Sache begegnet sein musste. Wollte man Kontakt zu einer fremden Frau bekommen, deren Telefonnummer man nicht kannte, was könnte dann besser sein, als ein Handy in ihre Tasche zu legen und sie anschließend anzurufen?
Ich setzte mich neben ihr auf die Couch. Sie schmiegte sich an mich.
»Vanja steht jetzt auf der Warteliste für einen Kindergartenplatz«, sagte sie. »Ich habe heute angerufen.«
»Hast du? Gut!«
»Ich muss gestehen, dass ich es mit gemischten Gefühlen getan habe«, sagte sie. »Sie ist noch so klein. Aber vielleicht können wir sie ja am Anfang halbtags gehen lassen?«
»Natürlich.«
»Unsere kleine Vanja.«
Ich sah sie an. Ihr Gesicht war von dem Schlaf, aus dem sie eben erst erwacht war, wie ermattet. Schmale Augen, weiche Züge. Nie im Leben konnte sie heimlich getrunken haben? Angesichts ihrer überwältigenden Gefühle für Vanja und der Tatsache, wie ernst sie ihre Mutterrolle nahm?
Nein, natürlich nicht. Wie konnte ich so etwas auch nur denken?
»In unserem Küchenschrank gehen seltsame Dinge vor«, sagte ich. »Wenn ich mir die Schnapsflaschen darin ansehe, scheint jedes Mal weniger in ihnen zu sein. Ist dir das auch schon aufgefallen?«
Sie lächelte.
»Nein. Aber es wird wohl mehr getrunken, als dir auffällt.«
»Scheint so«, sagte ich.
Ich legte die Stirn an ihre Stirn. Ihre Augen, die direkt in meine sahen, füllten mich völlig aus. In der kurzen Sekunde,
in der sie alles waren, was ich sah, leuchteten sie durch das Leben in ihrem Inneren.
»Ich vermisse dich«, sagte sie.
»Ich bin doch hier«, erwiderte ich. »Was ist los, willst du mich etwa mit Haut und Haaren?«
»Ja, genau«, sagte sie, nahm meine Hände und zog mich auf die Couch hinunter.
Am nächsten Morgen stand ich wie üblich um halb fünf auf, arbeitete bis sieben an der Korrektur der übersetzten Erzählungen und frühstückte schweigend mit Linda und Vanja. Um acht kam Ingrid und holte Vanja ab. Linda ging zur Uni, und ich las eine halbe Stunde Zeitungen im Netz, ehe ich anfing, die Mails zu beantworten, die sich angesammelt hatten. Dann duschte ich, zog mich an und ging hinaus. Der Himmel war blau, die tiefstehende Sonne schien über der Stadt, und obwohl es immer noch kalt war, vermittelte das Licht selbst unten in der tief eingeschnittenen und schattigen Straße, die ich auf dem Weg zum Stureplan nahm, ein Gefühl von Frühling. Offensichtlich war ich nicht der Einzige, der es so empfand; waren die Menschen noch am Vortag mit gesenkten Köpfen und vorgeschobenen Schultern gegangen, hoben sie nun die Gesichter, und in den Blicken, mit denen sie sich umschauten, lagen Neugier und Freude. War diese offene und heitere Stadt dieselbe wie die verschlossene und bedrückte, durch die wir gestern gegangen waren? Während das gedämpfte Winterlicht, das durch die Wolken gedrungen war, irgendwie alle Farben und Flächen zueinander zog und die Unterschiede zwischen ihnen durch ihr Grau und ihre Schwäche minimierte, schärfte sie das klare, direkte Sonnenlicht. Um mich herum explodierte die Stadt in Farben. Nicht den warmen biologischen Farben, sondern den kalten, mineralischen des Winterhalbjahrs und den synthetischen. Roter Backstein, gelber Backstein, dunkelgrüne
Motorhauben, blaue Schilder, orange Jacke, lila Schal, grauschwarzer Asphalt, grünspanfarbiges Metall, glänzender Chrom. Funkelnde Fenster, leuchtende Wände und blitzende Dachrinnen auf der einen Seite des Gebäudes, schwarze Fenster, dunkle Mauern, abgetönte, fast unsichtbare Dachrinnen auf der anderen. Auf die Birger Jarlsgatan, die von Schneehaufen gesäumt wurde, mal glitzernd, mal grau und stumm, je nachdem, wie das Sonnenlicht auf sie fiel. Zum Stureplan hinunter und in die Buchhandlung Hedengren, wo ein junger Mann gerade die Tür aufschloss, als ich sie erreichte. Ich ging in die untere Etage, flanierte zwischen den Regalen und trug einen Stapel Bücher zusammen, mit denen ich mich hinsetzte, um in ihnen zu blättern. Ich kaufte eine Biografie über Ezra Pound, weil mich seine Theorien zu Geld interessierten, und hoffte, dass dazu etwas in dem Buch stehen würde; ein Buch über Wissenschaft in China von 1550–1900; ein Buch über die
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