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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Beschränkte, das in einem verrottet, loszuwerden, all diese Lappalien, über die man sich aufregt oder die einen unglücklich machen, dass sie eine Lust auf etwas Reines und Großes erzeugen können, worin man einfach aufgehen und verschwinden möchte. Weg mit dem ganzen Dreck, verstehst du? Ein Volk, ein Blut, ein Boden. Nun ist gerade das allerdings für alle Zeit diskreditiert worden. Aber was dahintersteckt, das kann ich sehr gut verstehen. Und angesichts der Tatsache, wie empfänglich ich für sozialen Druck von unterschiedlichen Seiten bin und wie fremdbestimmt durch das, was andere über mich denken, mögen die Götter wissen, was ich getrieben hätte, wenn ich in den vierziger Jahren gelebt hätte.«
    »Ha ha ha! Da mach dir mal keine Sorgen. Du verhältst dich heute auch nicht wie andere, also hättest du dich damals auch nicht verhalten wie andere.«
    »Aber als ich nach Stockholm zog und mich in Linda verliebte, veränderte sich das alles. Es kam mir vor, als wäre ich über alle Banalitäten erhoben worden, nichts davon spielte mehr eine Rolle, alles war gut, kein Problem nirgends. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll… Als wäre die innere Stärke so groß geworden, dass alles außerhalb niedergeschlagen wurde. Ich war unverletzbar, verstehst du? Erfüllt von Licht. Alles war Licht! Ich konnte sogar Hölderlin lesen! Es war wirklich eine fantastische Zeit. Es ging mir noch nie so gut wie damals. Randvoll mit Glück.«
    »Ich erinnere mich. Du hast da oben in der Bastugatan gehockt und geglüht. Fast geleuchtet. Hörtest immer und immer
wieder Manu Chao. Man konnte sich kaum mit dir unterhalten. Du quollst über vor Glück. Du hast wie eine verdammte Lotusblüte auf deinem Bett gesessen und gelächelt.«
    »Der Punkt ist, dass es bei all dem um Sichtweisen geht. Auf eine Art gesehen schenkt alles Freude. Auf eine andere Art gesehen nur Trauer und Elend. Glaubst du, ich hätte mich um all den Mist geschert, mit dem uns Fernsehen und Zeitungen vollstopfen, als ich da oben saß und glücklich war? Glaubst du, ich hätte mich wegen irgendetwas geschämt? Ich hatte Nachsicht mit allem. Konnte verdammt nochmal nicht verlieren. Das war es, was ich dir gesagt habe, als du im Herbst danach so verdammt niedergeschlagen und außer dir warst. Dass es bloß um die Sichtweise geht. Nichts in deiner Welt hatte sich verändert oder war zu einem akuten Problem geworden, nur deine Art, sie zu sehen. Aber du hast natürlich nicht auf mich gehört und bist stattdessen in den Irak gereist.«
    »Das Letzte, was man hören will, wenn man im Dunkeln sitzt, ist das Gelaber irgendeines fröhlichen Irren. Aber als ich zurückkam, war ich guter Dinge. Die Reise hat mich aus diesem Loch herausgeholt.«
    »Ja. Und jetzt sind die Rollen wieder vertauscht. Jetzt sitze ich hier und beschwere mich über die Erbärmlichkeit des Lebens.«
    »Ich glaube, das ist die natürliche Ordnung der Dinge«, sagte er. »Machst du schon wieder Liegestütze?«
    »Ja.«
    Er grinste. Ich grinste auch.
    »Was zum Teufel soll ich denn tun?«, sagte ich.
     
    Eine Stunde später verließen wir das Pelikan und nahmen gemeinsam die U-Bahn bis Slussen, wo Geir in die rote Linie umstieg. Er legte die Hand auf meine Schulter, meinte, ich solle auf mich aufpassen und Linda und Vanja grüßen. Als
er gegangen war, sackte ich in den Sitz, wünschte mir, Stunde um Stunde dort sitzen und durch die Nacht fahren zu können, nicht wie jetzt aufstehen und nur drei Stationen weiter am Hötorget aussteigen zu müssen.
    Der Wagen war fast leer. Ein junger Mann mit einem Gitarrenkoffer auf dem Rücken hielt sich an der Tür an der Stange fest, er war spindeldürr und hatte schwarze lockige Haare, die unter seiner Mütze heraushingen. Zwei etwa sechzehnjährige Mädchen zeigten sich auf der hintersten Sitzbank gegenseitig SMS. Ihnen schräg gegenüber saß ein Mann in einem schwarzen Mantel, einem rostroten Schal und einer dieser grauen, wollartigen, fast viereckigen Mützen, wie man sie in den Siebzigern trug. Ihm gegenüber saß eine kleine, korpulente Frau mit südamerikanischen Zügen in einem dicken Anorak, einer billigen, dunkelblauen Jeans und Stiefeletten aus Wildleder mit einem oberen Rand aus Synthetik.
    Das Intermezzo mit dem Telefon hatte ich vollkommen vergessen, bis Geir mich, kurz vor unserem Aufbruch, daran erinnerte. Er reichte mir sein Handy und meinte, ich müsse mein Handy anrufen, was ich tat, aber es meldete sich niemand. Wir einigten uns darauf,

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