Lieben: Roman (German Edition)
Wirtschaftsgeschichte der Welt, geschrieben von einem gewissen Cameron; sowie ein Buch über die Ureinwohner Amerikas, in dem alle Stämme abgehandelt wurden, die dort vor dem Eintreffen der Europäer gelebt hatten, es war ein Prachtband von sechshundert Seiten. Darüber hinaus fand ich noch ein Buch über Rousseau von Starobinski und einen Band über Gerard Richter, Doubt and Belief in Painting , die ich ebenfalls kaufte. Ich wusste nichts über Pound, Wirtschaft, Wissenschaft, China oder Rousseau, ich wusste auch nicht, ob ich mich für diese Themen interessierte, aber ich wollte bald mit der Arbeit an einem neuen Roman beginnen, und irgendwo musste ich ja ansetzen. Über die Indianer hatte ich seit längerem nachgedacht. Vor ein paar Monaten hatte ich ein Bild von einigen Indianern in einem Kanu gesehen, die ein Gewässer überquerten, im Bug stand ein Mann, der wie ein Vogel gekleidet war, mit ausgestreckten Flügeln. Das Bild durchstieß alle Vorstellungen, die ich bis dahin von den Indianern hatte,
all das, was ich in Büchern und Comics gelesen und in Filmen gesehen hatte, und schlug direkt in der Wirklichkeit ein: Sie hatten tatsächlich existiert. Sie hatten mit ihren Totempfählen, Speeren und Pfeilen und Bögen tatsächlich allein auf einem riesigen Kontinent gelebt, nicht ahnend, dass ein anderes Leben als das ihre nicht nur möglich war, sondern auch existierte. Es war ein fantastischer Gedanke. Die Romantik, die das Bild mit seiner Wildheit, diesem Menschenvogel und dieser unberührten Natur ausstrahlte, entsprang deshalb der Wirklichkeit, und nicht umgekehrt, wie es sonst immer der Fall war. Es war erschütternd. Ich kann es nicht anders erklären. Ich wurde erschüttert. Und ich wusste, dass ich darüber schreiben musste. Nicht über das Bild an sich, sondern darüber, was es enthielt. Dann sickerten alle Gegenvorstellungen ein. Natürlich hatten sie existiert, aber sie existierten nicht mehr, sie und ihre ganze Kultur waren längst ausgelöscht. Warum also darüber schreiben? Es gab sie nicht, und es würde sie nie wieder geben. Erschuf ich eine neue Welt, in der Elemente aus dieser existierten, würde das lediglich Literatur sein, lediglich etwas Ausgedachtes und im Grunde Wertloses. Dagegen konnte ich einwenden, dass zum Beispiel Dante nur gedichtet, dass Cervantes nur gedichtet, dass Melville nur gedichtet hatte. Es ließ sich nicht von der Hand weisen, dass es nicht das Gleiche wäre, ein Mensch zu sein, wenn diese drei Werke nicht existiert hätten. Warum also nicht einfach dichten? Die Wahrheit lag doch nicht in einem Eins-zu-Eins-Verhältnis zur Wirklichkeit. Gute Argumente, aber es half nichts, allein schon bei dem Gedanken an Fiktion, allein schon bei dem Gedanken an einen erfundenen Charakter in einer erfundenen Handlung wurde mir flau, ich reagierte körperlich darauf. Hatte keine Ahnung, warum. Aber so war es. Also mussten die Indianer warten. Nicht zuletzt eingedenk der Tatsache, dass ich vielleicht nicht immer so empfinden würde.
Als ich die Bücher bezahlt hatte, ging ich zur unteren Ebene des Sergels torg hinunter und in das dort liegende CD- und DVD-Geschäft, wo ich drei DVDs und fünf CDs kaufte, danach zur Akademiebuchhandlung, wo ich eine Abhandlung über Swedenborg entdeckte, die der Verlag Atlantis veröffentlicht hatte und die ich neben zwei Zeitschriften erwarb. Von diesen Neuerwerbungen würde ich die wenigsten lesen, was mich allerdings nicht daran hinderte, mich gut zu fühlen. Ich ging nach Hause und lud die Einkäufe ab, aß an der Arbeitsfläche in der Küche stehend ein paar Brote und ging wieder hinaus, diesmal Richtung Östermalm, zu dem Geschäft in der Banérgatan, an dem ich um Punkt zwölf Uhr eintraf.
Es war niemand da. Ich zündete mir eine Zigarette an, wartete, suchte die Blicke der Passanten, aber keiner von ihnen blieb stehen oder kam auf mich zu. Nach fünfzehn Minuten ging ich in das Geschäft und fragte die Kassiererin, ob heute jemand ein Handy abgegeben habe. So war es, es lag bei ihr. Ob ich es beschreiben könne?
Das tat ich, und sie zog eine Schublade neben der Kasse auf und reichte es mir.
»Danke«, sagte ich. »Wissen Sie zufällig, wer es hier abgegeben hat?«
»Ja, den Namen weiß ich allerdings nicht. Aber es war ein junger Typ, der in der israelischen Botschaft hier vorne arbeitet.«
»In der israelischen Botschaft?«
»Ja.«
»Oh. Nochmals vielen Dank. Tschüss!«
»Tschüss.«
Gemächlich ging ich die Straße hinunter und
Weitere Kostenlose Bücher