Lieben: Roman (German Edition)
getrunken hatten, wenn Gäste bei uns waren, als mir in Erinnerung geblieben war. Jetzt waren die Flaschen zusätzlich verschoben worden.
Ich blieb einen Moment stehen und drehte die verschiedenen Flaschen in den Händen, während ich überlegte, was passiert sein könnte. Die Grappaflasche war fast voll gewesen, oder etwa nicht? Drei kleine Drinks hatte ich nach einem Essen mit Freunden vor ein paar Wochen daraus eingeschenkt. Nun reichte der Schnaps gerade noch bis über das Etikett. Und dann der Aquavit, von dem war doch auch mehr da gewesen als nur ein kleiner Rest? Und war nicht auch die Cognacflasche voller gewesen?
Es waren Flaschen, die ich mitgebracht hatte, wenn ich auf Reisen gewesen war, oder die wir geschenkt bekommen hatten. Wir tranken nie etwas aus ihnen, es sei denn, wir hatten Gäste.
War Linda an die Flaschen gegangen?
Trank sie, wenn sie hier alleine war?
Heimlich?
Nein, nein, undenkbar. Seit sie schwanger war, hatte sie keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Und solange sie stillte, wollte sie es dabei auch belassen.
War das eine Lüge?
Linda?
Nein, verdammt. So blind konnte ich beim besten Willen nicht sein.
Ich stellte die Flaschen genauso zurück, wie sie gestanden hatten, um mich später erinnern zu können. Darüber hinaus versuchte ich mir zu merken, wie viel in jeder war. Dann schloss ich die Schranktür und setzte mich, um zu essen.
Wahrscheinlich spielte mir nur meine Erinnerung einen Streich. Wahrscheinlich war in den letzten Wochen mehr getrunken worden, als ich gedacht hatte. Es war ja nicht so, dass ich exakt wusste, wie viel in jeder gewesen war. Außerdem waren die Flaschen beim Putzen am Samstag ein bisschen verschoben worden. Dass ich mich dessen nicht mehr entsann, war völlig normal. War es nicht Tolstoi gewesen, der Schklowski zufolge darüber in seinen Tagebüchern geschrieben hatte? Dass er sich plötzlich nicht mehr erinnern konnte, ob er im Wohnzimmer nun gerade Staub gewischt hatte oder nicht? Wenn er es getan hatte, welchen Status hatten dann das Erlebnis und die Zeitspanne, die es füllte?
Ach, russischer Formalismus, wo bist du nur in meinem Leben geblieben?
Ich stand auf und wollte gerade den Tisch abräumen, als im Wohnzimmer das Telefon klingelte. In meiner Brust wallte Angst auf. Dann fiel mir jedoch die SMS ein, die Geir an meine Handynummer geschickt hatte. Es bestand also kein Grund zur Sorge.
Ich eilte ins Wohnzimmer und hob ab.
»Ja, hallo, Karl Ove Knausgård?«, sagte ich.
Am anderen Ende blieb es einige Sekunden vollkommen still. Dann sagte eine Stimme:
»Haben Sie Ihr Handy verloren?«
Es war die Stimme eines Mannes. Er sprach gebrochenes Schwedisch, und auch wenn sein Ton nicht aggressiv war, so klang er doch auch nicht besonders freundlich.
»Ja, habe ich. Sie haben es gefunden?«
»Es lag in der Tasche meiner Verlobten, als sie nach Hause kam. Wären Sie bitte so freundlich, mir zu erzählen, wie es da hineingeraten ist?«
Vor mir ging die Tür auf. Linda trat heraus und starrte mich besorgt an. Ich hob abwehrend die Hand, lächelte sie an.
»Ich stand mit dem Telefon in der Hand in der U-Bahn-Station an der Rådmansgatan, als mich jemand anstieß, so dass ich es fallen ließ. Ich drehte mich zu dem Mann um, der mich angestoßen hatte, und sah deshalb nicht, wo das Telefon landete. Aber ich hörte es auch nicht auf dem Boden aufschlagen. Dann sah ich eine Frau mit einer offenen Tasche am Arm und begriff, dass es da hineingefallen sein musste.«
»Warum haben Sie die Frau nicht angesprochen? Warum wollten Sie, dass sie Kontakt zu Ihnen aufnimmt?«
»Im selben Moment kam die U-Bahn. Und ich war spät dran. Außerdem war ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es wirklich in die Tasche gefallen war. Ich konnte doch schlecht zu einer wildfremden Frau gehen und sie fragen, ob ich mal einen Blick in ihre Tasche werfen darf.«
»Sie stammen aus Norwegen?«
»Ja.«
»Okay. Ich glaube Ihnen. Sie können Ihr Handy wiederhaben. Wo wohnen Sie?«
»Mitten in der Stadt. Regeringsgatan.«
»Wissen Sie, wo die Banérgatan ist?«
»Nein.«
»In Östermalm, sie geht vom Strandvägen ab. In der Nähe des Karlaplan liegt ein ICA-Supermarkt. Kommen Sie um zwölf dorthin. Ich stehe davor. Sollte ich nicht da sein, habe ich Ihr Handy an der Kasse hinterlegt. Fragen Sie einfach die Kassiererin danach. Okay?«
»In Ordnung. Vielen Dank.«
»Passen Sie beim nächsten Mal ein bisschen besser auf.«
Damit legte er auf. Linda, die sich mit einer
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