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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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groß!«, sagte ich. »Komm, wir wollen dich waschen.«
    Ich hob sie aus dem Stuhl und trug sie ins Bad, wo ich ihr Gesicht und Hände wusch. Ich hielt sie vor den Spiegel und legte meine Wange an ihre. Sie lachte.
    Anschließend wechselte ich im Schlafzimmer ihre Windel, setzte sie auf den Fußboden und ging ins Wohnzimmer, um den Tisch abzuräumen. Als das getan war und die Spülmaschine brummte, öffnete ich den Schrank, um zu überprüfen, ob mit den Flaschen wider Erwarten etwas geschehen war.
    Allerdings. Von dem Grappa, bei dem ich mir ganz sicher war, weil der Schnaps genau auf einer Linie mit dem Rand des Etiketts gewesen war, hatte seit gestern jemand getrunken. Der Cognac stand an einer anderen Stelle, und auch aus dieser Flasche schien jemand getrunken zu haben, obwohl ich mir in dem Fall weniger sicher war.
    Was zum Teufel ging hier eigentlich vor?
    Ich weigerte mich zu glauben, dass Linda dahintersteckte. Und vor allen Dingen nicht, nachdem wir am Vorabend darüber gesprochen hatten.
    Ansonsten war hier keiner.
    Wir hatten doch keine Putzfrau oder so.
    Oh, du meine Güte.
    Ingrid.
    Sie war heute hier gewesen. Und gestern. Sie musste es gewesen sein.
    Hieß das, sie trank, während sie auf Vanja aufpasste? Saß
sie hier und kippte sich mit dem Enkelkind zwischen den Beinen Schnaps hinter die Binde?
    Dann musste sie Alkoholikerin sein. Vanja war doch ihr ein und alles. Vanja zuliebe würde sie niemals ein Risiko eingehen. Wenn sie trotzdem trank, musste dieses Verlangen in ihr stärker sein, musste es etwas sein, wofür sie bereitwillig alles aufs Spiel setzte.
    Oh, grundgütiger Gott, alles, nur das nicht.
    Ich hörte Lindas Schritte auf dem Schlafzimmerfußboden näher kommen, weshalb ich die Schranktür schloss, zur Spüle ging, den Lappen in die Hand nahm und anfing, den Tisch abzuwischen. Es war zehn Minuten vor sechs.
    »Ist es okay, wenn ich runtergehe und noch eine rauche, bevor sie kommen?«, fragte ich. »Hier ist zwar noch ein bisschen was zu machen, aber…«
    »Natürlich. Geh nur«, meinte Linda. »Nimmst du den Müll mit runter?«
    Im selben Moment klingelte es. Ich ging zur Tür. Ein junger Mann mit Bart und Schultertasche lächelte mich an. Hinter ihm stand ein etwas älterer, dunkel aussehender Mann mit einer großen Kameratasche über der Schulter und einer Kamera in der Hand.
    »Hallo«, sagte der junge Mann und streckte mir seine Hand entgegen. »Kjetil Østli.«
    »Karl Ove Knausgård«, sagte ich,
    »Freut mich«, sagte er.
    Ich gab dem Fotografen die Hand und bat die beiden einzutreten.
    »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Ja, gern.«
    Ich ging in die Küche, holte die Thermoskanne mit Kaffee und drei Tassen. Als ich zurückkam, standen die beiden im Wohnzimmer und schauten sich um.
    »Hier könnte man sich getrost einschneien lassen«, meinte der Journalist. »Sie besitzen nicht gerade wenige Bücher!«
    »Die meisten habe ich nicht gelesen«, sagte ich. »Und an die Bücher, die ich gelesen habe, erinnere ich mich nicht.«
    Er war jünger, als ich gedacht hatte, schien trotz des Barts kaum älter als sechs- oder siebenundzwanzig zu sein. Er hatte große Zähne, heitere Augen, eine unbeschwerte und fröhliche Ausstrahlung. Der Typ war mir nicht fremd, ich war einigen Leuten begegnet, die ihm ähnelten, allerdings nur in den letzten Jahren, niemals in meiner Kindheit und Jugend. Es mochte mit Klasse, Geografie oder einer bestimmten Generation zusammenhängen, wahrscheinlich war es von allem etwas. Südostnorwegische Mittelschicht, vermutete ich, die Eltern möglicherweise Akademiker. Wohlerzogen, selbstsicheres Auftreten, ein heller Kopf mit sozialer Kompetenz. Ein Mensch, der bis dato noch auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen war, das war der Eindruck, den er in diesen ersten Minuten auf mich machte. Der Fotograf war Schwede, wodurch für mich jede Möglichkeit wegfiel, die Nuancen seines Auftretens wahrzunehmen.
    »Ich hatte eigentlich beschlossen, keine Interviews mehr zu geben«, sagte ich. »Aber dann meinte mein Verlag, Sie seien so gut, die Chance dürfe ich mir nicht entgehen lassen. Ich hoffe, der Verlag irrt sich nicht.«
    Ein paar Schmeicheleien schadeten nie.
    »Das hoffe ich auch«, erwiderte der Journalist.
    Ich goss ihnen Kaffee ein.
    »Kann ich hier ein paar Fotos machen?«, sagte der Fotograf.
    Als ich zögerte, versicherte er mir, dass nur ich auf den Aufnahmen zu sehen sein würde, nichts von der Umgebung.
    »Okay«, sagte ich. »Hier?«
    Ich stellte mich

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