Lieben: Roman (German Edition)
nicht, dass du etwas wert bist, denn das bist du nicht. Du bist nur ein kleiner Furz.
Also senke dein Haupt und arbeite, du kleiner Furz. Dann holst du wenigstens etwas aus dir heraus. Halt dein Maul, senk den Kopf, arbeite und vergiss nicht, dass du keinen Furz wert bist.
Das hatte ich, in etwa, gelernt.
Das war die Summe meiner Erfahrungen.
Verdammt, es war das einzig Wahre, was ich jemals gedacht hatte.
Das war die eine Seite der Medaille. Die andere war, dass es mir überaus wichtig war, gemocht zu werden, und so war es schon immer, seit meiner Kindheit, gewesen. Seit ich sieben war, hatte ich enormen Wert darauf gelegt, was andere Menschen von mir hielten. Wenn die Presse Interesse daran zeigte, was ich machte und wer ich war, bildete dies einerseits eine Bestätigung dafür, dass ich gemocht wurde, weshalb es etwas war, worauf ein Teil von mir mit großer Lust und Freude einging, während es andererseits zu einem kaum zu bewältigenden Problem wurde, weil es sich nicht mehr kontrollieren ließ, was andere Menschen von mir hielten, einfach weil ich sie nicht mehr kannte, sie nicht mehr sah. Jedes Mal, wenn ich ein Interview gegeben hatte, und in diesem Interview stand etwas, was ich nicht gesagt hatte, oder etwas, was ich gesagt hatte, wurde in ein anderes Licht gerückt, setzte ich deshalb alles daran, es zu ändern. War dies nicht möglich, ging mein Selbstbild in Flammen auf. Dass ich trotzdem immer weitermachte und erneut irgendwo von Angesicht zu
Angesicht einem Journalisten gegenübersaß, lag daran, dass die Lust auf Schmeicheleien stärker war als die Furcht davor, wie ein Idiot dazustehen, und als mein Qualitätsideal. Es kam noch hinzu, dass ich begriff, wie wichtig es war, um meine Bücher unter die Leute zu bringen. Als ich Alles hat seine Zeit geschrieben hatte, sagte ich Geir Gulliksen, dass ich keine Interviews geben wolle, aber nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, beschloss ich, es doch zu tun, diese Wirkung hatte er oft auf mich, und, so rechtfertigte ich meinen neuen Entschluss, das war ich nicht zuletzt dem Verlag schuldig. Aber es funktionierte nicht: Ich war Schriftsteller, kein Vertreter und auch keine Hure.
Das alles vermischte sich zu einer einzigen Pampe. Ich beschwerte mich oft darüber, dass ich in den Zeitungen wie ein Idiot dargestellt wurde, aber das war einzig und allein mein Fehler, denn wenn ich sah, wie andere Schriftsteller dargestellt wurden, beispielsweise Kjartan Fløgstad, standen sie jedenfalls nie wie Idioten da. Fløgstad war ein Mann mit Integrität, er stand wie eine Eiche, ganz gleich, was um ihn herum geschah, und musste, nahm ich an, jener seltenen Rasse von heilen Menschen angehören.
Außerdem sprach er grundsätzlich nicht über sich.
Und was hatte ich gerade getan, wenn nicht das und nur das?
Ich reichte dem farbigen Mann am Schalter meine Streifenkarte, er hämmerte den Stempel darauf, schob sie mir mit ausdruckslosen Augen zurück, und ich nahm erneut die Rolltreppe in den Untergrund, ging durch den Tunnel und auf den schmalen Bahnsteig, wo ich mich, nachdem ich festgestellt hatte, dass die nächste Bahn erst in sieben Minuten kommen würde, auf eine Bank setzte.
Im Spätherbst jenes Jahres, in dem Jenseits der Welt erschien, wollte die Nachrichtensendung von TV 2 ein Interview
mit mir machen. Sie holten mich zu Hause ab, wir fuhren zur Hurtig-Route, wo das Interview stattfinden sollte, und auf dem Weg dorthin, ungefähr auf Höhe des Technologiezentrums am Ende des Nygårdsparken, drehte der Journalist sich um und fragte mich, wer ich war.
»Wer sind Sie eigentlich?«, sagte er.
»Wie meinen Sie das?«, erwiderte ich.
»Nun ja, Erik Fosnes Hansen ist der Altkluge, der Kulturkonservative, das Wunderkind. Roy Jacobsen ist der Schriftsteller der Arbeiterpartei, Vigdis Hjorth ist die geile und betrunkene Schriftstellerin. Wer sind Sie? Ich weiß nichts über Sie.«
Ich zuckte mit den Schultern. Draußen funkelte die Sonne im Schnee.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Einfach ein ganz normaler Typ?«
»Ach, kommen Sie! Sie müssen mir was geben. Irgendetwas, was Sie getan haben?«
»Ich habe hier und da ein bisschen gejobbt. Ein bisschen studiert. You know…«
Er drehte sich wieder auf seinem Sitz um. Später am Tag hatte er das Problem gelöst, in dem er es zeigte, statt es zu erzählen: Gegen Ende des Interviews hatte er zahlreiche Augenblicke mit Pausen und Zögern zusammengeschnitten, die meine Persönlichkeit verkörpern sollten, und ließ
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