Lieben: Roman (German Edition)
ich von Ihnen gesehen habe, sprechen Sie häufig davon, wie schlecht alles ist, was Sie machen. Finden Sie nicht, dass Sie ein bisschen sehr selbstkritisch sind?«
»Nein, das denke ich nicht, aber es kommt natürlich darauf an, wie hoch man die Latte legt.«
Als der Zug hinter der Station T-Centralen aus dem Tunnel schoss, blickte er aus dem Fenster.
»Denken Sie, dass Sie den Preis gewinnen werden?«, sagte er.
»Den Literaturpreis des Nordischen Rats?«
»Ja?«
»Nein.«
»Und wer bekommt ihn dann?«
»Monika Fagerholm.«
»Sie scheinen sich Ihrer Sache ja ziemlich sicher zu sein.«
»Es ist ein sehr guter Roman. Geschrieben von einer Frau. Außerdem ist es lange her, dass ein Autor aus Finnland den Preis bekommen hat. Natürlich bekommt sie ihn.«
Es wurde wieder still. Die Zone vor und hinter einem Interview ist immer schwammig; dieser mir unbekannte Mann war gekommen, um mir mein Innerstes zu entlocken, aber erst später, die Situation war noch nicht eingetreten, im Moment waren die Rollen nicht verteilt, wir waren gleichgestellt, hatten jedoch keinerlei Berührungspunkte, trotzdem mussten wir uns unterhalten.
Ich dachte an Ingrid. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, auch nicht mit Linda, bevor ich nicht hundertprozentig sicher war, dass ich Recht hatte. Ich musste die Flaschen markieren. Heute Abend. Morgen nachsehen. War dann aus ihnen getrunken worden, musste ich das zum Anlass nehmen.
Wir erreichten die Station Skanstull und gingen, während die Stadt in der uns umgebenden Dunkelheit leuchtete, zum Pelikan, wo wir uns an einen Tisch am hinteren Ende des Lokals setzten. Dort unterhielten wir uns anderthalb Stunden über mich und meine Arbeit, dann stand ich auf und ging, während er, der erst am nächsten Tag nach Norwegen zurückfliegen würde, sitzen blieb. Wie immer nach längeren Interviews fühlte ich mich leer, ausgelaugt. Ich hatte wie jedes Mal das Gefühl, mich selbst betrogen zu haben. Schon dadurch, dass ich dort saß, hatte ich mich auf die Prämisse eingelassen, dass die beiden Bücher, die ich geschrieben hatte, gut und wichtig waren und ich, der ich sie geschrieben hatte, ein ungewöhnlicher und interessanter Mensch sein musste. Das war der Ausgangspunkt für unser Gespräch; alles, was ich sagte, war wichtig. Sagte ich nichts Wichtiges, tja, dann verbarg ich es nur. Denn irgendwo musste es ja sein. Wenn ich also beispielsweise
etwas aus meiner Kindheit erzählte, irgendetwas völlig Alltägliches und Ordinäres, was jeder schon einmal erlebt hatte, wurde es wichtig, weil ich es gesagt hatte. Es sagte etwas über mich aus, den Schriftsteller dieser beiden guten und wichtigen Bücher. Und mit dieser Bewertung, die das Fundament der Situation bildete, war ich nicht nur einverstanden, ich bejahte sie vielmehr aus vollem Herzen. Saß da und plapperte drauflos wie ein Papagei in einem Papageienpark. Während ich wusste, wie es sich wirklich verhielt. Wie oft erschien in Norwegen ein bedeutender und guter Roman? Das schwankte zwischen alle zehn und alle zwanzig Jahre. Der letzte wirklich gute norwegische Roman war Feuer und Flamme von Kjartan Fløgstad, und der war 1980, vor fünfundzwanzig Jahren erschienen. Der letzte gute davor war Die Vögel von Tarjej Vesaas gewesen, der 1957 erschienen war, also weitere dreiundzwanzig Jahre vorher. Wie viele norwegische Romane waren in der Zwischenzeit veröffentlicht worden? Tausende! Ja, Zehntausende! Einige von ihnen recht gut, ein paar eher passabel, die meisten schwach. So ist es doch, kein Grund zur Aufregung, jeder weiß das. Das Problem bestand in dem, was all diese literarischen Werke umgab: die Schmeicheleien, die sich mittelmäßige Autoren auf der Zunge zergehen ließen, und alles, was sie sich, von ihrem falschen Selbstbild ausgehend, in Zeitungen und im Fernsehen zu sagen erdreisteten.
Ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin selber einer von ihnen.
Oh, ich könnte mir vor Verbitterung und Scham darüber, dass ich mich dazu nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder habe verlocken lassen, den Kopf abreißen. Wenn ich in diesen Jahren etwas gelernt habe, was mir gerade in unserer Zeit ungeheuer wichtig erscheint, die vor Mittelmäßigkeit förmlich überquillt, dann ist es folgendes:
Du sollst nicht glauben, dass du jemand bist.
Du sollst verdammt noch mal nicht glauben, dass du jemand bist.
Denn das bist du nicht. Du bist nur ein eingebildeter, mittelmäßiger, kleiner Furz.
Glaube nicht, dass du wer bist, glaube
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