Lieben: Roman (German Edition)
vorbei zum Teller, wo ich mit der Kante einen Bissen abschnitt, mit brauner Kruste unter der weißen Creme, innen gelb, mit roten Streifen aus Marmelade, und drehte das Handgelenk so, dass der Happen auf der Gabel liegen blieb, hob die Gabel wieder an ihr vorbei und in den Mund. Der Teig war zu trocken, und in der Creme war viel zu wenig Zucker, aber mit einem Schluck Kaffee schmeckte der Kuchen trotzdem ganz passabel.
»Möchtest du ein Stück?«, sagte ich. Vanja nickte. Ich schob einen Bissen in ihren geöffneten Mund. Sie blickte zu mir hoch und lächelte.
»Ich kann mit dir ins Wohnzimmer kommen«, sagte ich, »dann schauen wir mal, was die anderen machen. Und du kannst vielleicht doch beim Angeln mitmachen.«
»Du hast gesagt, dass wir nach Hause gehen«, sagte sie.
»Stimmt, das habe ich. Dann machen wir das auch.«
Ich legte die Gabel auf den Teller, leerte die Kaffeetasse, stellte Vanja auf den Fußboden und stand auf. Ich schaute mich um. Keiner begegnete meinem Blick.
»Wir machen uns jetzt mal auf den Weg«, sagte ich.
Im selben Moment kam Erik mit einer kleinen Bambusstange in der einen Hand und einer Plastiktüte vom Supermarkt in der anderen herein.
»Jetzt spielen wir angeln«, verkündete er.
Einige standen auf, um dabei zu sein, andere blieben sitzen. Keiner hatte meine Abschiedsworte mitbekommen, und da die Aufmerksamkeit am Tisch auf einmal weit gestreut war, fand ich es wenig sinnvoll, sie zu wiederholen, legte stattdessen eine Hand auf Vanjas Schulter und führte sie hinaus. Im Wohnzimmer rief Erik »Angelspiel!«, und alle Kinder rannten an uns vorbei zum Ende des Flurs, wo die Decke, ein weißes Laken, von Wand zu Wand hing. Erik, der ihnen wie ein Hirte folgte,
bat sie, sich hinzusetzen. Als ich mit Vanja vor mir im Flur stand und sie anzog, hatten wir freien Blick auf die Kinder.
Ich zog den Reißverschluss der roten, schon etwas engen Steppjacke zu, setzte ihr die rote Polarmütze auf den Kopf und verknotete den Halsriemen, stellte die Stiefeletten vor sie, damit sie die Füße selbst hineinschieben konnte, und zog die Reißverschlüsse an der Ferse zu, als sie drinnen war.
»So«, sagte ich. »Jetzt müssen wir uns nur noch verabschieden, dann können wir gehen. Komm.«
Sie streckte die Arme zu mir hoch.
»Kannst du nicht selber gehen?«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf, die Arme blieben hochgereckt.
»Na schön«, sagte ich. »Aber vorher muss ich meinen Mantel anziehen.«
Im Flur sollte Benjamin als Erster »angeln«. Er warf die Schnur hinüber, und jemand, wahrscheinlich Erik, zog auf der anderen Seite daran.
»Ich hab was gefangen!«, rief Benjamin.
Die Eltern an der Wand schmunzelten, die Kinder auf dem Boden riefen und lachten. In der nächsten Sekunde riss Benjamin die Rute hoch, und eine rot-weiße Süßigkeitentüte segelte an einer Wäscheklammer befestigt über die Decke. Er band sie los und ging einen Schritt weg, um sie in Ruhe zu öffnen, während das nächste Kind, Theresa, assistiert von ihrer Mutter die Angelrute übernahm. Ich wickelte mir den Schal um den Hals und knöpfte die blaue, seelotsenartige Jacke zu, die ich im Frühjahr zuvor bei Paul Smith in Stockholm gekauft hatte, setzte die Mütze auf, die ich im selben Laden erstanden hatte, bückte mich vor dem Haufen Schuhe an der Wand und fand meine schwarzen Wrangler-Schuhe mit gelben Schnürsenkeln, die ich in Kopenhagen gekauft hatte, als ich dort zur Buchmesse gewesen war, und nie gemocht hatte, nicht einmal als ich sie kaufte, und auf die zu allem Überfluss der Gedanke
abfärbte, wie katastrophal schlecht es dort für mich gelaufen war, weil ich mich außer Stande sah, auch nur eine einzige Frage vernünftig zu beantworten, die der enthusiastische und kundige Interviewer mir auf der Bühne stellte. Ich hatte sie nur deshalb nicht längst aussortiert, weil wir so wenig Geld hatten. Und dann auch noch gelbe Schnürsenkel!
Ich band sie zu und richtete mich auf.
»Jetzt bin ich fertig«, sagte ich. Vanja streckte erneut ihre Arme in die Höhe. Ich hob sie hoch, ging durch den Flur und steckte den Kopf in die Küche, in der momentan vier, fünf Eltern saßen und sich unterhielten.
»Wir sind dann mal weg«, sagte ich. »Macht’s gut und danke für den netten Tag.«
»Schön, dass ihr da wart«, erwiderte Linus. Gustav hob die Hand halb zur Stirn.
Dann traten wir in den Flur hinaus. Ich legte die Hand auf Fridas Schulter, die lächelnd und ganz in die Szene auf dem Fußboden versunken an
Weitere Kostenlose Bücher