Lieben: Roman (German Edition)
der Wand stand, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
»Wir gehen dann mal«, sagte ich. »Danke für die Einladung! Es war wirklich schön. Sehr nett!«
»Aber will Vanja denn nicht noch angeln?«, sagte sie.
Ich machte ein vielsagendes Gesicht, das in etwa bedeuten sollte »Du weißt ja, wie irrational Kinder sein können«.
»Ja, ja«, sagte sie. »Jedenfalls danke, dass ihr gekommen seid. Mach’s gut, Vanja!«
Mia, die mit Theresa vor sich neben ihr stand, sagte:
»Warte mal kurz.«
Sie beugte sich über die Decke und fragte Erik, der dort hockte, ob er ihr eine der Süßigkeitentüten anreichen könne. Das tat er, und sie gab die Tüte an Vanja weiter.
»Schau mal, Vanja. Die kannst du mit nach Hause nehmen. Und vielleicht mit Heidi teilen, wenn du magst?«
»Das will ich nicht«, sagte Vanja und hielt die Tüte an ihre Brust gedrückt.
»Vielen Dank!«, sagte ich. »Tschüss zusammen!«
Stella drehte sich um und sah uns an.
»Willst du gehen, Vanja? Warum?«
»Mach’s gut, Stella«, sagte ich. »Danke, dass wir zu deiner Geburtstagsfeier kommen durften.«
Damit drehte ich mich um und ging. Die dunklen Treppen hinunter, durch die Haustür und auf die Straße hinaus. Stimmen, Rufe, Schritte und Motorengeräusche wurden in dem Raum zwischen den Fassaden kontinuierlich lauter und leiser. Vanja legte die Arme um mich und lehnte den Kopf an meine Schulter. Das tat sie sonst nie. Es war Heidis Art, dies zu tun.
Ein Taxi glitt mit eingeschaltetem Schild vorbei. Ein Paar mit einem Kinderwagen ging an uns vorbei, sie hatte sich einen Schal um den Kopf gewickelt und war jung, um die zwanzig. Grobporiger Teint, den sie dick gepudert hatte, sah ich, als sie uns passierten. Er war älter, in meinem Alter, und schaute sich rastlos um. Der Wagen war eines dieser lächerlichen Modelle mit einer dünnen, blumenstielartigen Stange, die von den Rädern ausging, auf denen der Korb mit dem Kind ruhte. Aus der anderen Richtung kam uns eine Clique von fünfzehn-, sechzehnjährigen Jungen entgegen. Schwarze, zurückgekämmte Haare, schwarze Lederjacken, schwarze Hosen und mindestens zwei von ihnen trugen Puma-Schuhe mit diesem Logo auf den Zehen, das für meinen Geschmack schon immer idiotisch ausgesehen hatte. Goldkettchen um den Hals, leicht taumelnde, irgendwie unfertige Armbewegungen.
Die Schuhe.
Verdammt, sie lagen noch oben.
Ich blieb stehen.
Sollte ich sie einfach dalassen?
Nein, das wäre zu träge, wir standen doch praktisch direkt vor der Tür.
»Wir müssen noch einmal hoch«, sagte ich. »Wir haben deine goldenen Schuhe vergessen.«
Sie richtete sich ein wenig auf.
»Ich will sie nicht haben«, sagte sie.
»Das weiß ich«, sagte ich. »Aber wir können sie nicht einfach da liegen lassen. Wir müssen sie mit nach Hause nehmen, und dann sind es eben nicht mehr deine.«
Ich lief die Treppe wieder hinauf, setzte Vanja ab, öffnete die Tür, machte einen Schritt in die Wohnung und griff nach den Schuhen, ohne weiter hineinzuschauen, kam jedoch nicht umhin, beim Aufrichten Benjamins Blick zu begegnen, der mit einem Auto in der Hand in seinem weißen Hemd auf dem Fußboden saß.
»Tschüss!«, sagte er und winkte mit seiner freien Hand.
Ich lächelte.
»Tschüss, Benjamin«, sagte ich, schloss die Tür hinter mir, hob Vanja hoch und ging zum zweiten Mal hinunter. Draußen war es kalt und klar, aber alles Licht in der Stadt, von Straßenlaternen, Schaufenstern und Autoscheinwerfern, sickerte hoch und lag wie eine schimmernde Kuppel über den Dächern, die kein Sternenglanz durchdringen konnte. Von allen Himmelskörpern war allein der Mond zu sehen, der fast voll über dem Hilton hing.
Vanja drückte sich von Neuem an mich, als ich die Straße hinunter hastete, wobei unser Atem wie weißer Rauch um unsere Köpfe hing.
»Vielleicht will Heidi ja meine Schuhe haben?«, sagte sie plötzlich.
»Wenn sie so groß ist wie du, bekommt sie die Schuhe«, erwiderte ich.
»Heidi liebt Schuhe«, sagte sie.
»Ja, das tut sie«, sagte ich.
Schweigend gingen wir ein Stück weiter. Vor dem Subway neben dem Supermarkt sah ich die irre weißhaarige Frau stehen und durchs Fenster starren. Aggressiv und unberechenbar lief sie in unserem Viertel herum, meist mit sich selbst redend, die Haare stets in einem straffen Dutt, und immer, sommers wie winters, in demselben beigen Mantel.
»Mache ich auch eine Geburtstagsfeier, wenn ich Geburtstag habe, Papa?«, sagte Vanja.
»Wenn du willst«, antwortete ich.
»Das
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