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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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diese Bilder in folgende Aussage münden: »Ibsen hat einmal gesagt, am stärksten ist, wer alleine steht. Ich denke, das ist falsch.«
    Auf der Bank sitzend hob ich die Hände und atmete tief durch, als mich die Erinnerung daran, was ich damals gesagt hatte, übermannte.
    Wie hatte ich nur so etwas sagen können?
    Hatte ich daran geglaubt?
    Ja, das hatte ich. Aber was ich zum Ausdruck brachte,
waren die Gedanken meiner Mutter, sie interessierte sich so für die Beziehungen zwischen Menschen, sie meinte, dass diese entscheidend waren, nicht ich. Besser gesagt, damals fand ich das, damals glaubte ich daran, allerdings nicht aus einer persönlichen Erfahrung heraus, es gehörte nur zu den Dingen, die nun einmal waren, wie sie waren.
    Ibsen hatte Recht gehabt. Alles, was ich in meiner Umgebung sah, bestätigte es. Beziehungen waren da, um das Individuelle auszulöschen, die Freiheit zu fesseln und zurückzuhalten, was hoch wollte. Deshalb wurde meine Mutter nie so wütend wie bei unseren Diskussionen über den Begriff Freiheit. Wenn ich meine Meinung sagte, schnaubte sie und erklärte, das sei nur so etwas Amerikanisches, eine Vorstellung ohne Inhalt, leer und verlogen. Wir sind für die anderen da. Aber es war dieser Gedanke, der das durchsystematisierte Dasein erschaffen hatte, in dem wir heute lebten, in dem Unvorhersehbares völlig verschwunden war und man vom Kindergarten durch die Schule und die Universität ins Arbeitsleben gehen konnte, als wäre es ein Tunnel, überzeugt davon, dass man frei gewählt hatte, während man in Wahrheit vom allerersten Schultag an durchgesiebt worden war wie ein Sandkorn; manche wurden in praktische Berufe, manche in theoretische, manche an die Spitze, manche nach ganz unten geschickt, während wir gleichzeitig lernten, dass alle gleich waren. So lautete der Gedanke, der uns, jedenfalls meine Generation, dazu verleitet hat, vom Leben etwas zu erwarten , in dem Glauben zu leben, dass wir etwas fordern konnten, tatsächlich fordern konnten, und allem Möglichen außer uns selbst die Schuld gaben, wenn es dann nicht so lief, wie wir uns das vorgestellt hatten. Als der Tsunami kam und einem nicht auf der Stelle geholfen wurde, schimpfte man über den Staat. War das nicht erbärmlich? Man reagierte verbittert, wenn man nicht die Position bekam, die man verdient zu haben
glaubte. Und dies war der Gedanke, der dazu führte, dass der Absturz, außer für die Allerschwächsten, keine Alternative mehr war, denn Geld bekam man immer, und die blanke Existenz, bei der man Auge in Auge lebensbedrohlicher Not oder Gefahr gegenüberstand, war vollkommen ausradiert worden. Das war der Gedanke, der uns eine Kultur beschert hatte, in der sich die größten Mittelmäßigen allerorten mit ihren Ramschgedanken breitmachten, satt und warm, und die dazu geführt hatte, dass Autoren wie Lars Saabye Christensen oder wer auch immer verehrt wurden, als säße Vergil persönlich auf der Couch und berichtete, ob der Text mit Stift, auf einer Schreibmaschine oder einem Computer geschrieben wurde, und wann am Tage dies geschah. Ich hasste das, ich wollte nichts davon wissen, aber wer saß höchstpersönlich da und sprach darüber, wie er seine mittelmäßigen Bücher verfasste, den Journalisten zugewandt, als wäre er ein Gigant der Literatur, ein Held des Wortes, wenn nicht ich selbst?
    Wie kann man sich nur applaudieren lassen, wenn man eigentlich weiß: Was man getan hat, ist nicht gut genug?
    Ich hatte eine Chance. Ich musste alle Verbindungen zur liebedienernden, durch und durch korrupten Kulturwelt kappen, in der alle, jeder einzelne kleine Furz, käuflich waren, alle Bande zu dieser hohlen Fernseh- und Zeitungswelt kappen, mich in ein Zimmer setzen und anfangen, ernsthaft zu lesen, keine Gegenwartsliteratur, sondern Literatur von höchster Qualität, um anschließend zu schreiben, als hinge mein Leben davon ab. Wenn es sein musste, von mir aus zwanzig Jahre lang.
    Aber diese Chance konnte ich nicht ergreifen. Ich hatte eine Familie, ich war es ihr schuldig, da zu sein. Ich hatte Freunde. Und ich hatte eine Schwäche in meinem Charakter, die zur Folge hatte, dass ich Ja, Ja sagte, wenn ich Nein, Nein meinte, und dass ich eine solche Angst hatte, andere zu verletzen, dass
ich so konfliktscheu war und solche Furcht hatte, nicht gemocht zu werden, dass meine Schwäche von Zeit zu Zeit alle Prinzipien über Bord warf, alle Träume, alle Chancen, alles, was nach Wahrheit schmeckte, um dies zu verhindern.
    Ich war

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