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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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schon. Verdammt, das Einzige, was wirklich zählt, ist doch, dass wir ein Kind bekommen!«
    Sie sah mich an und lächelte unter Tränen.
    »Meinst du wirklich?«, sagte sie.
    Ich küsste sie.
    Ihre Lippen schmeckten salzig.
     
    An jenem Novemberabend, an dem ich in der Dunkelheit auf der Veranda unserer Wohnung in Malmö saß, nachdem wir Vanja zum Kindergeburtstag begleitet hatten, waren seither fast zwei Jahre vergangen. Das Kind, das wir damals gerade erst gezeugt hatten, war nicht nur geboren worden, sondern mittlerweile schon ein Jahr alt. Wir hatten es Heidi getauft, es war ein fröhliches Mädchen, das in manchen Belangen robuster war als ihre Schwester, in anderen genauso empfindsam wie sie. Während der Taufe hatte Vanja Nein! Nein! Nein! geschrien, dass es in der Kirche hallte, als der Pfarrer Wasser über den Kopf ihrer Schwester gießen wollte, und man musste einfach lachen, denn sie schien rein körperlich auf das Weihwasser zu reagieren wie ein kleiner Vampir oder Teufel. Als Heidi neun Monate alt war, zogen wir, fast spontan, nach Malmö; keiner von uns war vorher dort gewesen, wir kannten keinen Menschen in der Stadt, fuhren trotzdem hin, um uns eine Wohnung anzusehen und entschieden uns, nachdem wir uns insgesamt fünf Stunden in der Stadt aufgehalten hatten. Hier würden wir leben. Die Wohnung lag in der obersten Etage eines Gebäudes mitten in der Stadt, sie war groß, hundertdreißig Quadratmeter, und da sie so hoch lag, war sie von morgens bis abends voller Licht. Nichts hätte uns besser passen können, denn unser Dasein in Stockholm war immer düsterer geworden, und am Ende hatten wir uns keinen anderen Rat mehr gewusst, als fortzugehen. Fort von der verrückten Russin, mit der wir in einen unlösbaren Konflikt verstrickt waren und die weiter ihre Beschwerden an den Hauseigentümer schickte, der die Angelegenheit schließlich aufgriff und uns zu einem Treffen einbestellte, ohne dass dabei etwas herausgekommen wäre, denn selbst wenn sie uns glaubten, was sie letztlich taten, konnten sie nichts tun. Wir nahmen die Sache daraufhin selbst in die Hand. Nach einem Zwischenfall, bei dem sie zu uns hochgekommen war und ich sie mit
Vanja und Heidi auf den Armen gebeten hatte, sich von uns fernzuhalten, woraufhin sie erwiderte, sie habe einen Mann bei sich, den sie hochschicken werde, um mich zu verprügeln, rief ich die Polizei an und zeigte sie wegen dieser Drohung und ihren Schikanen an. Ich hätte nie gedacht, dass ich so weit gehen würde, aber ich tat es. Die Polizei konnte zwar nichts tun, aber das war nicht entscheidend, denn die Beamten schalteten das Sozialamt ein, und zwei Mitarbeiter kamen vorbei, um zu sehen, in welchen Verhältnissen sie lebte, und keine Demütigung hätte für sie größer sein können. Oh, wie mich der Gedanke daran befriedigte! Das nachbarschaftliche Verhältnis wurde dadurch allerdings nicht besser. Und mit zwei Kindern mitten in einer Großstadt, in der die einzigen autofreien Grünflächen Parks waren, in die wir sie ausführten wie Hunde, stellte sich eigentlich nur die Frage, wann und wohin wir umziehen würden. Linda wollte nach Norwegen, das wollte ich nicht, so dass zwei Städte in Schweden in Frage kamen, Göteborg und Malmö, und da die erstgenannte für Linda negativ besetzt war, nachdem sie dort ihren Studiengang Kreatives Schreiben wegen ihrer Krankheit nach wenigen Wochen hatte abbrechen müssen, stand die Sache fest: Wir zogen nach Malmö, weil wir ein gutes Gefühl hatten, als wir dort einige Stunden verbrachten. Malmö war offen, der Himmel über der Stadt weit, das Meer lag in unmittelbarer Nähe, ein langer Sandstrand befand sich nur wenige Minuten vom Stadtzentrum entfernt, Kopenhagen lag vierzig Minuten entfernt, und die Atmosphäre in der Stadt war entspannt, urlaubsartig, ganz anders als Stockholms strenge, harte, karrierebetonte Ausstrahlung. Die ersten Monate in Malmö waren fantastisch, wir gingen täglich schwimmen, saßen auf der Veranda und aßen, wenn die Kinder im Bett lagen, waren voller Optimismus, standen einander so nahe wie seit zwei Jahren nicht mehr. Aber die Dunkelheit schlich sich auch dort ein,
langsam und unmerklich füllte sie alle Teile meines Lebens, das Neue verlor seinen strahlenden Glanz, die Welt entglitt mir, und zurück blieb vibrierende Frustration.
    Wie an diesem Abend, als Linda und Vanja in der Küche saßen und aßen, während Heidi im Gitterbettchen in unserem Schlafzimmer ihren Fieberschlaf schlief und mich der

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